Die Geschichte eines Tapferen und Guten"Wir tragen Verantwortung, dass Gleiches nicht mehr passiert"

Oberthal. Mit einem Dokumentarfilm würdigt Günther Ruschel das Leben von Johann Becker aus Oberthal. Becker war Kommunist und musste zehn Jahr den Terror der Nazis in verschiedenen Konzentrationslagern ertragen. Trotzdem hatte er noch genug Kraft, anderen Menschen zu helfen. In seinem Buch "Der Totenwald" setzt Ernst Wiechert Johann Becker ein literarisches Denkmal. Becker schwieg nach der Rückkehr 1945 nach Oberthal von seinem Leid. Der Film hatte am Samstag in Oberthal Premiere.

Oberthal. Das Grauen der Naziherrschaft mit Millionen Toten, es ist schwer fassbar. Millionen Schicksale verbergen sich dahinter. Millionen, die geliebt und getrauert haben. Kann man aber ein Einzelschicksal herausgreifen, das Leid eines Einzelnen beschreiben, dann rührt es die Zuschauer zutiefst.So auch am Samstagabend in der Bliestalhalle in Oberthal. Rund 300 Gäste sind gekommen, um die Premiere des Filmes über Johann Becker aus Oberthal zu sehen. Zehn Jahre lang hat der Neunkircher Kameramann und Regisseur Günther Ruschel an dem Dokumentarfilm mit dem Titel "Johann Becker - Stille Zeit - Fragmente eines Lebens" gearbeitet. Johann Becker, 1902 geboren, stammt aus einer armen Familie. Er war Kommunist, schmuggelte im Abstimmungskampf in den dreißiger Jahren Schriften ins Saargebiet. 1935 verbrannte er eine Nazi-Fahne. Die Gestapo verhaftete ihn. Der Krees Johann, so sein Name im Dorf, wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt und kam anschließend in Schutzhaft. Er lebte und überlebte zehn Jahre lang die Konzentrationslager im Emsland, in Buchenwald und Dachau.In den Konzentrationslagern war Becker Aufseher, ein Kapo. Seine Stellung nutzte er aber nicht, um sich Vorteile zu verschaffen, sondern um seine Mitgefangenen zu schützen. Dafür quälte ihn die SS, peitschte in aus. Auf Beckers Rücken reihte sich Narbe an Narbe. 1945 kehrte er nach Oberthal zurück, war Arbeiter bei der Gemeinde. Über seine Zeit im KZ schwieg Becker - bis er am 1. Januar 1972 starb. Johann Becker kann persönlich nicht mehr aus seinem Leben berichten. Deshalb lässt Ruschel Zeitzeugen und Experten zu Wort kommen. So berichtet die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Barbara Distel, aus Beckers Akte, gibt es Filmsequenzen aus dem Lager zu sehen. Stefan Weszkalnys aus dem saarländischen Kultusministerium, ein überaus profunder Kenner der Landesgeschichte, erzählt, was aus den Akten über Becker heraus zu lesen ist. Besonders erschütternd, dass Becker, was Wiedergutmachung und Erwerbsminderung angeht, um jeden Pfennig bitten, sich quasi als Überlebender des KZ noch rechtfertigen musste. Mehrere Priester, die ebenfalls im KZ inhaftiert waren, stellten sich schriftlich hinter ihn. Der Film zeigt auch diese Dokumente.Weszkalnys war es auch, der Anfang der achtziger Jahre den Zusammenhang zwischen Johann Becker und dem Vorarbeiter Hans in dem Buch "Der Totenwald" von Ernst Wiechert herstellte. In diesem Buch hat Wiechert dem Oberthaler ein literarisches Denkmal gesetzt: "Ihr wart die Tapferen unter Millionen von Feigen, ihr trugt euer Schicksal drei und vier und fünf Jahre lang, und ihr hattet noch Kraft genug, um denen die Hand zu reichen, die am Abgrund standen." Hans Mittermüller, der Sprecher im Film, liest aus dem "Totenwald" vor, ein bewegender Höhepunkt.Zeitzeugen, die Becker noch persönlich gekannt haben, erinnern sich. Sein mittlerweile verstorbener Arzt, der den zerschundenen Rücken zu sehen bekam. Seine ebenfalls verstorbene Kollegin, die seine Hilfsbereitschaft unterstreicht. Oder ein Nachbar, dem er die Bedeutung von Gewerkschaften vermittelte. Weszkalnys und der Oberthaler Bundestagsabgeordnete Hermann Scharf berichten von einer Begegnung mit der Witwe Anna Becker. Diese zeigte ihnen das Gedicht, das Ernst Wiechert als Dankeschön geschrieben hat. Wiechert erwähnt dies im "Totenwald": "Guter und Braver, was hat Johannes dir viel mehr geben können, als hin und wieder ein paar Zigaretten und ein paar Verse für deine Frau zu ihrem Namenstag, um die du ihn batest." Ergreifend das Gespräch mit der Enkelin Susanne Steinmetz-Ernst, die vom Leid ihres Großvaters nichts gewusst hat. Oberthal. Karl Rauber, Europaminister und Chef der Staatskanzlei, der viele Jahre in Oberthal lebte, war Schirmherr der Filmpremiere. Warum ein solcher Film so wichtig ist, das erklärte Rauber in seiner Ansprache. "Die Bedeutung dieses Films geht weit über die Gemeinde Oberthal hinaus. Der Film macht anhand des Schicksals eines einzelnen Menschen deutlich, wie brutal die nationalsozialistische Schreckensherrschaft in das Leben von Menschen, ihren Familien und von Dorfgemeinschaften eingegriffen hat." Dadurch wirke der Film anschaulicher und berührender als die Aufzählung von Daten und Fakten. Nach Ansicht von Rauber ist es nach wie vor wichtig, dass man die nationalsozialistische Vergangenheit aufarbeitet: "Wir dürfen dieses Kapitel unserer Geschichte nicht einfach dem Vergessen überlassen." Mehr als Dreiviertel der deutschen Bevölkerung habe den Nationalsozialismus nicht mehr persönlich erlebt. Diese Generation habe natürlich keine persönliche Schuld auf sich geladen. Rauber: "Und dennoch tragen wir alle Verantwortung dafür, wie wir mit dieser Geschichte heute umgehen. Und wir tragen Verantwortung dafür, dass sich Gleiches oder Ähnliches nicht wiederholt. Wir tragen die Verantwortung, jederzeit gegen jede Form des Antisemitismus, des Rassismus und des Totalitarismus und für Aussöhnung, Freiheit, Menschenrechte und Demokratie aktiv zu werden."Der Minister weiter: "Wir leben in einer Zeit des Generationenwechsels, in einer Zeit des Übergangs von der Erinnerung an Erlebtes zur Erinnerung an Überliefertes." Gerade in der regionalen Aufarbeitung, in der Suche nach konkreten Zeugnissen und Orten liege eine besondere Chance, wie der Film über Johann Becker deutlich mache. Der Film sei ein wichtiger Damm gegen das Vergessen, Verdrängen und Leugnen. Das sahen auch die anderen Redner so. Oberthals Bürgermeister Stephan Rausch sieht in dem Film eine Mahnung gegen das Leid des Naziterrors, ein Dokument gegen das Vergessen. Gerd Bauer, Chef der Saarland Medien GmbH, sagte, der Film sei ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der Zeitgeschichte. Deshalb unterstütze seine Gesellschaft diesen auch mit 12000 Euro aus Mitteln der Filmförderung. Der Film spreche für sich, so Hermann Scharf, Mitinitiator des Projektes. Stefan Weszkalnys würdigte das Engagement und die Beharrlichkeit des Filmautors Günther Ruschel. Und dieser erzählte von seinen Beweggründen. Ruschel, der aus Oberthal stammt, hat Becker persönlich gekannt: "Ich habe ihn gekannt, aber nichts von ihm gewusst. Einer unter uns hat großes Unrecht erfahren."Die musikalische Umrahmung der Premiere hatte das Trio Violetto mit Elena Fröse (Violine), Birgitta Lauer-Müller (Violoncello) und Gernot Wirbel (Klarinette). In einem ungeplanten Zwischenruf meldete sich ein Groniger Bürger zu Wort und erinnerte an das Schicksal seines Vaters in der Nazizeit als Kriegsdienstverweigerer. Vor der Filmpremiere enthüllten Bürgermeister Stephan Rausch und die Ehrengäste eine Gedenktafel am Place Moyenmoutier in der Imsweiler Straße, unweit des Wohnhauses von Johann Becker. Wie geht es weiter? Laut Gerd Bauer und Karl Rauber soll der Film auf DVD gebrannt werden und dann saarländischen Schulen für den Unterricht angeboten werden. vfMeinung

Der Film gehört in die Schulen

Von SZ-Redakteur Volker Fuchs Der Film über das Leiden des Menschen Johann Becker aus Oberthal ist ergreifend. Der Zuschauer kann erahnen, wie sehr er und seine Familie unter dem Naziterror gelitten haben. Und dass ihr Leid nach dem Krieg noch lange nicht zu Ende war.Nach der Premiere am Samstag mit 300 Gästen sollte der Film möglichst viele weitere Menschen erreichen. Die Idee, ihn in den Schulen im Unterricht einzusetzen, ist prima. Sie muss möglichst schnell umgesetzt werden.

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