Bauernkalender Bauern zeigen Blech und Flagge – ein Hilfeschrei?

Wir befinden uns in politisch turbulenten Zeiten. Tag für Tag wird diskutiert und debattiert, was in Deutschland alles schiefläuft. Man hat das Gefühl, dass alles, was in der Vergangenheit hart erarbeitet wurde, auf einmal schlecht ist.

 Bauern aus ganz Deutschland kürzlich bei einer Protestaktion an der Siegessäule in Berlin

Bauern aus ganz Deutschland kürzlich bei einer Protestaktion an der Siegessäule in Berlin

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Wohlstand, Autos, Reisen, Fliegen, eine gesicherte Versorgung mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln – all das ist schlecht und muss sofort geändert werden? Und wenn ja, was würde passieren?

Am 22. Oktober fanden große Demonstrationen von Landwirten in 16 Metropolen Deutschlands statt. Mit einer sogenannten Graswurzelbewegung, also einer politischen beziehungsweise gesellschaftlichen Initiative, die aus der Basis der Bevölkerung entsteht, artikuliert sich auf diese Weise eine Stimme, die für die Landwirtschaft und die Menschen im ländlichen Raum spricht.

Auch viele junge Menschen gingen an diesem Tag auf die Straße. Im Gegensatz zur „Fridays-for-Future-Bewegung“ leben diese Menschen auf dem Land, arbeiten mit der Natur und in der Landwirtschaft. Handfeste und fleißige Menschen, mit einer soliden fachlichen Ausbildung und Verantwortung für einen Familienbetrieb.

Wenn solche Menschen sich zu Tausenden mobilisieren lassen und immer wieder die Forderung erheben, man möge ihnen doch einfach mal zuhören, dann muss das die Politik alarmieren.

Viele Demonstrierende bringen nämlich auf diesem Weg schlichtweg ihre Existenzängste und die fehlende Wertschätzung ihrer Arbeit zum Ausdruck. Stetig wachsende Auflagen in der Produktion und Anforderungen an die Betriebsführung, Dokumentations- und Kennzeichnungsverpflichtungen bei gleichem Produktpreis nagen an der mentalen Kraft der Betriebsleiter.

Aktuell steht das Freihandelsabkommen Mercosur im Raum, das die Einfuhr von großen Mengen von südamerikanischem Rindfleisch ermöglichen soll. Wie steht es bei dem Konkurrenzprodukt um die Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit der Erzeugung, sowie soziale und ökologische Standards, die in Deutschland völlig selbstverständlich sind?

Wie passt das mit den Anforderungen der Gesellschaft an regionale Produkte und den Anforderungen des Lebensmitteleinzelhandels an die Erzeuger zusammen, nicht nur qualitativ, sondern auch optisch perfekte Produkte abzuliefern? Gesellschaftlich wird unansehnliches Gemüse beziehungsweise madiges Obst in der Auslage nicht akzeptiert, gleichzeitig werden aber in Deutschland Wirkstoffe im Pflanzenschutzsektor verboten, beziehungsweise die Einschränkung des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln diskutiert. Von gleichen Produktionsbedingungen kann im globalen Wettbewerb somit keine Rede sein.

Viele landwirtschaftliche Unternehmer haben in den letzten Jahren nach geltendem Recht in ihren Betrieben Investitionen getätigt, die Finanzierungs- und Amortisationszeiten von 20 bis 30 Jahren mit sich bringen. Nun werden in der Öffentlichkeit Forderungen erhoben, dass der bereits hohe Standard in Deutschland und dadurch ohnehin stark reglementierte Status Quo landwirtschaftlicher Erzeugung „anders werden muss“? Viele Betriebsleiter fürchten, dass die Investition mittelfristig nicht mehr bezahlbar sein wird und sorgen sich zu Recht um ihre Zukunft.

Die Liste der besorgniserregenden Punkte könnte beliebig weit fortgeführt werden. Hier hat sich eine tiefe Kluft zu einem städtischen Publikum geöffnet, welches sich daran gewöhnt hat, Bauern mit Schlagworten wie Massentierhaltung, Nitratbelastung, Insektensterben und Monokulturen gleichzusetzen.

Diese Begriffe sind im Saarland aufgrund der geringen Viehdichte und dem hohen Anteil an Dauergrünland definitiv nicht zutreffend. Dennoch müssen die saarländischen Landwirte die Probleme anderer Regionen unverschuldet mit ausbaden, denn zusätzliche Auflagen gelten für alle Betriebe in Deutschland.

Keine Frage: Tier-, Natur- und Umweltschutz sind sehr wichtige Angelegenheiten. Und wer in der Natur aufgewachsen ist, macht das wie selbstverständlich – besonders wenn es gilt, das tägliche Brot im Einklang mit der Natur zu verdienen. Laut Polternde, Ideologisierende und von der Natur stark Entfremdete geben jedoch in der Debatte rund um die Landwirtschaft weitgehend den Ton an und erfahren zurzeit eine starke mediale Unterstützung. Die Menschen im ländlichen Raum – im Saarland wie im übrigen Bundesgebiet – fühlen sich dadurch an den Rand und somit in eine „Schmuddelecke“ gedrängt.

Ist das so gewollt? Wäre es nicht klüger, miteinander ins Gespräch zu kommen und nach einer Zukunftsperspektive zu suchen, als die Nahrungsmittel-Erzeugung vor Ort Schritt für Schritt ins Ausland zu verdrängen? Dorthin, wo die Erzeugungs- und Umweltstandards sich auf einem deutlich geringeren Niveau als in Deutschland befinden und in keinster Weise nachvollziehbar sind? Dorthin, wo gegebenenfalls illegal tropischer Regenwald gerodet wird, um Nahrungs- und Futtermittel zu erzeugen?

Jede Verlagerung von Produktionskapazitäten der Landwirtschaft ins Ausland schafft Abhängigkeiten bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Wie ist das bei der aktuellen globalen Sicherheitslage zu rechtfertigen und mit der Neuauflage der „Konzeption zivile Verteidigung“ der Bundesregierung in Einklang zu bringen, die im Krisenfall greift, um die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen?

Auf Bundesebene sind insbesondere die Gespräche mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze nicht nur ergebnislos geblieben, die Einladung des Deutschen Bauernverbandes zu einem Gespräch über die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland wurde sogar abgelehnt. Im Saarland sieht die Situation glücklicherweise anders aus. Hier befindet sich der landwirtschaftliche Berufsstand im stetigen Dialog mit dem Umweltministerium.

Fakt ist jedoch: Wenn landwirtschaftliche Betriebe sterben, weil aufgrund von Bürokratie, Auflagen und mangelnder Wertschätzung der Nachwuchs auf den Höfen fehlt, haben sowohl die Landwirtschaft als auch der ländliche Raum keine rosigen Zukunftsperspektiven. Und wenn die Bauern jetzt auf die Straße gehen, weil sie keine Lust mehr auf die Rolle des Sündenbocks haben, ist das ihr gutes Recht, sich auf diese Weise Gehör zu verschaffen.

Sebastian Jung

Im SZ-„Bauernkalender“ berichten Landwirte aus der Region jeden Monat über anstehende Arbeiten oder behandeln aktuelle Themen aus der Landwirtschaft.

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