Besuch beim 3. Hemmersdorfer Pop-Festival „Je kleiner, je feiner“ - So begeisterte erlesene Avantgarde-Musik beim Hemmersdorfer Pop-Festival

Hemmersdorf · Klein und fein: Das 3. Hemmersdorf Pop-Festival wird seinem Ruf als überregional bekanntes Boutique-Festival in Gänze gerecht. Ein Besuch.

 Die isländische Pianistin und Neoklassik-Komponistin Eydís Evensen am Samstagabend in der St. Konrad-Kirche beim 3. Hemmersdorfer Pop-Festival.

Die isländische Pianistin und Neoklassik-Komponistin Eydís Evensen am Samstagabend in der St. Konrad-Kirche beim 3. Hemmersdorfer Pop-Festival.

Foto: David Lemm

Auf dem Parkplatz zwischen Grenzlandhalle und Niedschule hat es sich ein kleines Grüppchen am frühen Samstagabend auf einem Mäuerchen bequem gemacht. In der untergehenden Abendsonne den Crémant genießend, den „grandiosen“ Vorabend kennerhaft bewundernd. Derweil finden sich weitere Besucher per pedes und mit dem Auto ein. Viele von ihnen haben Decken unter den Armen. „Decken kriegt man auch in der Kirche. Festival-Bändchen und Getränke gibt’s drinnen in der Halle“, weist eine offensichtliche kundige Dame die Neuankömmlinge ein.

Um kurz vor sechs öffnen sich die Pforten der unweit des Parkplatzes auf einer kleinen Anhöhe gelegenen St. Konrad-Kirche. Die zirka 150 wartenden Gäste verteilen sich mit ihren Decken und Getränken auf den ehrwürdigen Sitzbänken im Kirchenschiff. Der Chorraum ist mit anheimelnden Farben dezent ausgeleuchtet. Davor die hell erleuchtete Bühne mit dem Flügel, Boxen sowie drei Projektoren, die mit weiß rotierenden Lichtkegeln Nebel aus einer Maschine sichtbar machen und sich drehende geometrischen Figuren an die Decke des Hauptschiffes werfen.

Der mehrfach ausgezeichnete irische Singer und Songwriter Adrian Crowley eröffnet den bis fast Mitternacht dauernden, zweiten Festivaltag. „Er ist eher ruhig und melancholisch, er zieht den Hörer jedoch nicht hinunter, sondern lädt zum Träumen ein“, versichert SR2-Moderator Karsten Neuschwender in auffälliger Parallele zum Programmheft, wo es genauso geschrieben steht. Wie bereits im Vorjahr schneidet der SR die Hemmersdorfer Konzerte live mit. Adrian Crowley startet nach einem kleinen, verschmitzten Zunicken mit einer ruhigen folkartigen Gitarrennummer bevor er ans Keyboard wechselt. Seine dunklen, mit schöner tiefer Stimme vorgetragenen Songs garniert er geschickt mit elektronischen Effekten und wiederholt immer wieder bedeutungsschwangere Wörter wie love, wind, dust und hearts. Für manche Besucher etwas „zu viel Pathos“ und „zäh“, obwohl der knapp einstündige Auftritt des „man in black“ gut ins sakrale Ambiente passt.

In den obligatorischen Lüftungs- und Umbaupausen müssen die Besucher die Kirche verlassen. Zeit, sich bei einem Getränk in der abgedunkelten Lounge in der Grenzlandhalle auszutauschen und kennenzulernen – denn auch die Künstler sind zugegen. Hier gibt es neben Speis und Trank auch einen Merchandise-Stand sowie zu erwerbende Konzertfotos von Zippo Zimmermann. Um halb acht ist es dann soweit: Die isländische Pianistin und Neoklassik-Komponistin Eydís Evensen betritt eifrig beklatscht von den zurückgekehrten Besuchern die Bühne. Just hat sie ihr Debütabum „Bylus“ (isländisch für Schneesturm) herausgebracht, mit dem sie nun auf Tour geht – unter anderem spielt sie in der bereits ausverkauften Londoner Royal Albert Hall. Als erfolgreiches Model hat Evensen naturgemäß reichlich Bühnenerfahrung und erfährt gerade deshalb eine besondere Aufmerksamkeit, wie das lästige Fotografieren mit dem Smartphone mancher Besucher erahnen lässt. Doch Evensen lässt sich nichts anmerken, platziert ihre schwarzen Sneaker neben dem Flügel, begrüßt zurückhaltend das Publikum, bevor sie die Augen schließt und zu spielen beginnt. Ihr ausgereiftes, fingerfertiges Klavierspiel wirkt leichtfüßig und lädt geradezu zum kontemplativen Innehalten ein. In ihren kurzen Zwischenreden bekundet sie ihre Sympathie für Hemmersdorf, das sie an ihr eigenes kleines Dorf erinnere, in dem sie bei Anbruch der Dunkelheit zu spielen und komponieren beginne, so Evensen. Die Zuhörer sind begeistert – ebenso von dem folgenden Auftritt Ajimals. Der britische Arzt und Musiker besticht mit seinem brillanten Deutsch und seiner umwerfenden Offenheit. In seinen ausgefeilten Pop-Elektro-Arrangements bezieht er kritisch zu aktuellen Zustände Stellung, prangert explizit Missstände an und plädiert für mehr Menschlichkeit.

Das kommt gut an. Wanja Weinthal (6), die jüngste Besucherin des Festivals, übt sich zusammen mit ihrer Schwester Madita (8) während Ajimals Auftritt im freien Tanz – und erntet viele liebevolle Blicke aus dem Publikum. Die in Nohfelden lebende Familie Weinthal wurde durch einen Radiobeitrag auf das Pop-Festival aufmerksam. Da der Vater keine Eintrittspreise für Kinder finden konnte, rief er kurzerhand den künstlerischen Leiter Chris Burr an, der sich über das Interesse der jungen Familie freute – und keinen Eintritt verlangte. Derlei Geschichten schreibt diese Kleinod von Festival, dass auch in der Zukunft die bewährte Prämisse seines Machers Burr „Je kleiner, je feiner“ umsetzen wird. Dafür wünscht sich der sichtlich erschöpfte Burr lediglich „ein kräftigeres Budget, um das Niveau zu halten. Das würde alles leichter machen“, betont er.

Die Konzerte sind ab heute in der ARD-Mediathek zunächst für 30 Tage abzurufen – außerdem ist eine lange Konzertnacht im SR-Fernsehen geplant.

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