Zu schwach, zu steif, zu schwerfällig: Warum Kinder nicht gerade stehen können

Saarbrücken. (ml) Eine schlechte Körperhaltung bei Kindern und Jugendlichen hat meist mehrere Ursachen

Saarbrücken. (ml) Eine schlechte Körperhaltung bei Kindern und Jugendlichen hat meist mehrere Ursachen. Die Untersuchungen im Rahmen des Kid-Check-Projekts haben gezeigt, dass orthopädische Schwächen wie zum Beispiel Hohlkreuz, Rundrücken oder eine vorstehende Schulter-Kopf-Partie in den meisten Fällen sowohl von einer schwachen und schlecht gedehnten Muskulatur als auch von einem mangelhaften Körpergefühl herrühren. Das Körpergefühl lässt zu wünschen übrig, weil Gehirn und Nervensystem die Körperhaltung nicht optimal steuern.Sind die Muskeln schlecht gedehnt, spricht man auch von einer verkürzten Muskulatur. Bei den bisherigen Kid-Check-Studien sind viele Kinder durch eine verkürzte Muskulatur aufgefallen. Bei 84 Prozent von bisher 1800 untersuchten Mädchen und Jungen war zum Beispiel die Hüftbeugemuskulatur mangelhaft gedehnt. Diese Muskeln verbinden das Becken mit den vorderen oberen Oberschenkeln. Sind sie verkürzt, ziehen sie das vordere Becken nach unten ("Beckenkippung"), wodurch die Bildung eines Hohlkreuzes begünstigt wird.Verkürzte Muskeln schränken die Beweglichkeit der Gelenke ein. Dadurch können viele Bewegungen, vor allem im Sport, nicht mehr optimal durchgeführt werden - zum Beispiel das Schießen eines Fußballs oder das Schlagen eines Tennisballs. Eine Ursache von Muskelverkürzungen kann schnelles Wachstum sein. In den Wachstumsphasen während der Pubertät nimmt die Knochenlänge schnell zu. Die Muskulatur verlängert sich nicht in gleichem Maße, so dass die Muskeln verkürzt erscheinen.Des Weiteren verkürzen Muskeln bei mangelnder körperlicher Bewegung. Schon Kinder und Jugendliche sitzen viel und lang. In der Sitzposition gerät zum Beispiel die oben erwähnte Hüftbeugemuskulatur durch die angewinkelten Beine in eine verkürzte Position. Dadurch - so die Theorie - nimmt die Muskelgeschmeidigkeit ab. Das Kid-Check-Team hat allerdings gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen Muskelverkürzung und Haltungsschwäche nicht so klar und deutlich ist, wie vielfach in der medizinischen Literatur behauptet wird. Doch daraus darf man nicht ableiten, dass diese Muskelgruppe nichts mit Fehlhaltungen zu tun hat. Die Körperhaltung ändert sich durch das Zusammenspiel vieler Faktoren. Auch ein verkürzter Muskel kann für eine Fehlhaltung verantwortlich sein. Daher empfehlen die Experten regelmäßiges Dehnungstraining.Eine weitere Ursache für Haltungsschwächen können schwache, kaum trainierte Muskeln sein. Schwache Bauch-, Gesäß- und Rückenmuskeln schaffen es nicht, die Wirbelsäule dauerhaft aufzurichten. Es kommt zum sogenannten Haltungsverfall. Dabei unterscheidet man drei Wirbelsäulenformen: den hohlrunden Rücken, den Rundrücken sowie den Flachrücken. Ein Rundrücken bildet sich zum Beispiel, wenn die Brustmuskeln verkürzt und die oberen Rückenmuskeln schwach sind.Weitere Kid-Check-Studien belegen, dass viele Mädchen und Jungen nicht in der Lage sind, ihre Muskeln gezielt zu aktivieren. Sogar Kinder, die über eine recht kräftige und gut gedehnte Muskulatur verfügen, haben eine schlechte Körperhaltung, weil sie ihre Muskeln nicht bewusst steuern können. Die Wahrnehmung für den eigenen Körper, das Körpergefühl, ist gestört. Damit man eine gute Halteposition aufrechterhalten kann, müssen die entsprechenden Muskelgruppen vom Gehirn aktiviert werden. Dafür sind in besonderem Maße Gruppen von Nervenzellen im Mittelhirn zuständig. Das Gehirn kann diese Aufgabe aber nur erfüllen, wenn es genaue Informationen darüber hat, in welcher Position die Gelenke sich gerade befinden und ob und wie stark die Muskeln und Sehnen gespannt sind. Diese Informationen ans Gehirn zu schicken, ist Aufgabe der Sinneszellen (Sensoren) in Haut, Muskeln, Sehnen und Gelenken. Und auch das Gleichgewichtsorgan im Ohr steuert Informationen über die Position des Körpers bei. Die Sinneszellen sind umso empfindlicher, je besser sie durch regelmäßige körperliche Betätigung genutzt und trainiert werden. Bei Bewegungsmuffeln verkümmern die Sinneszellen regelrecht. Damit Mädchen und Jungen mit mangelhafter Körperwahrnehmung lernen, ihre Muskulatur bewusst anzusteuern und zu aktivieren, empfehlen die Experten ein Gleichgewichts- und Koordinationstraining. Das Kid-Check-Team wird erst im kommenden Jahr wieder öffentliche Untersuchungstermine für Kinder anbieten. Die SZ wird diese Termine ankündigen. Derzeit arbeiten die Experten an mehreren Studien. Beispielsweise wird untersucht, ob neuartige Fußballschuhe mit breitem Leisten und herausnehmbarem Fußbett Kniebeschwerden bei jungen Spielern lindern können.

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