Justiz Wo im Saarland der Streit wohnt

Saarbrücken · In Saarbrücken geht man öfter zum Anwalt als in St. Wendel. Im Schnitt hat jeder vierte Saarländer einmal pro Jahr einen Streitfall.

Wer Streit sucht, ist in Berlin genau richtig. Nirgendwo sonst in Deutschland kriegen sich Leute wegen Privatem oder Ärger im Straßenverkehr häufiger in die Haare. Auch bei Stress mit dem Chef und dem Vermieter droht der Berliner gern mal mit dem Anwalt: Schadet ja nischt, wa? Auf stolze 31,2 Streitfälle pro Einwohner im Jahr kommt man in der Bundeshauptstadt. In NRW, Rang zwei im Ländervergleich, sind es immer noch 28,8 Fälle. Das hat die Rechtsschutzversicherung Advocard jetzt herausgefunden, nachdem sie bundesweit 1,7 Millionen Streitfälle ausgewertet hat von 2002 bis 2016. Das Saarland sortiert sich da auf einem Mittelplatz ein. Rang zehn unter den Bundesländern: mit 25,5 Streitfällen auf 100 Einwohner pro Jahr. Aber auch hier werden immer öfter Juristen bemüht, sagt die Rechtsschutzstatistik: 2014 waren es noch 23 Streitfälle. Ein Anstieg von 2,5 Prozent. Knapp unter dem Bundesplus von 2,8 Prozent innerhalb von zwei Jahren.

Generell gilt: Die Streitlust wächst und wächst. In die Statistik fließt alles ein, vom Zoff mit dem Nachbarn, der noch via Moderation beigelegt werden kann bis hin zur gerichtlichen Auseinandersetzung über mehrere Instanzen. „Es wird immer mehr gestritten, auch wegen eher geringer Streitwerte“, sagt Advocard-Vorstandssprecher Peter Stahl. Was er auch darauf zurückführt, dass die Zahl der Gesetze in Deutschland steige. Er beobachte eine „Verrechtlichung der Gesellschaft“. Gut fürs Geschäft eines Rechtsschutzanbieters.

Bei juristischen Auseinandersetzungen ergibt sich ein klares Stadt-Land-Gefälle. In Ballungsräumen steigen offenkundig mit der Zahl der Menschen auch die Gelegenheiten die Klingen zu kreuzen. Da macht das Saarland keine Ausnahme. Landeshauptstadt und Regionalverband weisen die höchste Streitintensität auf: Jeder vierte Einwohner in und um Saarbrücken ist einmal pro Jahr in einen Rechtsstreit verwickelt (26,5 Fälle pro 100 Einwohner). Die Landkreise Merzig-Wadern und Saarlouis folgen dichtauf (je 26,2), danach Neunkirchen (24,1). Am friedfertigsten ist der Kreis St. Wendel (22,9) hierzulande. Selbst die sanftmütigen Nordsaarländer könnten sich aber noch ein Beispiel an ihren Nachbarn nehmen. In Birkenfeld (20,4 Fälle) und Kusel (20,1 Fälle) verläuft das Leben noch harmonischer. Dagegen ist man in Kaiserslautern (27,3) und Mainz (27,2) erkennbar mehr auf Krawall gebürstet als in Saarbrücken.

Wenn Saarbrücker den Rechtsanwalt bemühen, dann meist wegen privatem Zwist. Der Zoff übern Gartenzaun zählt dazu, aber auch familiäre Differenzen: mit 39,7 Prozent der Löwenanteil aller Fälle. Ansonsten haben Autofahrer öfters Ärger (30,3 Prozent). Doch auch Mieter und Vermieter (12 Prozent) finden Anlässe sich zu kabbeln, ob nun die Heizkostenabrechnung zu hoch schien oder der Wasserhahn tropft.

Das Bild von den Streithähnen kommt übrigens nicht von ungefähr. Denn meist machen Männer Stunk. 69,8 Prozent der Streitfälle in Saarbrücken gehen etwa auf ihr Konto. Doch auch der Anteil der jüngeren Streithansel steigt. Vorwiegend streiten zwar Menschen zwischen 46 und 55, wenn die Midlife-Crisis zuschlägt (bundesweit 28,4 Prozent der Fälle), die Unter-36-Jährigen haben aber seit 2002 mächtig aufgeholt: Damals waren es 3,1 Prozent, 2016 aber schon 23,7 Prozent. Fast acht Mal mehr. Es sei eine Generation die „anspruchsvoll und zukunftsorientiert“ sei, erklärt man sich das bei Advocard: „Und diese Generation fordert ihre Ansprüche selbstbewusst ein.“

Wer in Frieden leben möchte, muss wohl nach Bayern auswandern. Mit 21,3 Streitfällen pro 100 Bajuwaren ist es das ruhigste Bundesland. Und im Landkreis: Freyung-Grafenau gar, rund 30 Kilometer nördlich von Passau, muss man als Anwalt wohl verarmen. Bloß 14,2 Streitfälle. Glückliches Bayern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort