"Wir kreieren unseren eigenen Ozean"

Uetze-Eltze/Völklingen. Neulich in Trondheim, sagt Uwe Waller, sei ihm mal wieder so richtig klar geworden, was er und seine Kollegen da eigentlich tun

Uetze-Eltze/Völklingen. Neulich in Trondheim, sagt Uwe Waller, sei ihm mal wieder so richtig klar geworden, was er und seine Kollegen da eigentlich tun. "Hey, Uwe, wie weit seid Ihr eigentlich in Völklingen?" Die Frage sei spontan gestellt worden, Völklingen stand eigenentlich gar nicht auf der Tagesordnung des Treffens von Fischereiexperten und Meeresforschern in Norwegen, sagt Waller. Er ist Professor an der Saarbrücker Hochschule für Technik und Wirtschaft. Und er ist sich sicher, dass schon bald die ersten Studenten aus Asien ins Saarland kommen, um Aquakultur und Prozesstechnik zu studieren.Internationales InteresseIn Asien sei das Interesse an dem, was in einer Versuchsanlage im niedersächsischen Uetze-Eltze im kleinen und ab Mitte dieses Jahres in Völklingen im großen Stil passiert, besonders groß, sagt Bert Wecker. Wecker arbeitet für die International Fish Farming Technology GmbH (IFFT), die die Anlage in Völklingen managen wird. Es sei durchaus "eine verrückte Idee, an diesem Standort Meeresfische zu züchten", räumt er ein. Viel weiter weg vom Meer als in Völklingen könne man kaum sein. Was auf den ersten Blick verrückt erscheine, sei aber ein Vorteil für den Standort Völklingen. "Die Meere sind überfischt, aber es gibt einen immer höheren Bedarf an Fisch", erklärt Wecker. Zuchtanlagen in Küstengewässern erwiesen sich zunehmend als problematisch, sagt er. Im Küstenwasser sei die Gefahr, dass sich Krankheiten in den Zuchtgehegen ausbreiten groß. Krankheiten, die Zuchtfische, die entkommen, ins offene Meer tragen.Die Zuchtanlage, die bei der Firma Sander in Uetze-Eltze entwickelt wurde, habe solche Probleme im Griff. Das Wasser bleibe in einem Kreislaufsystem. Ein Biofilter sorge für eine konstante Meerwasserqualität. Medikamente seien nicht notwendig, wegen des empfindlichen Filters auch gar nicht einsetzbar. Man ziehe die Fische also unter optimalen Bedingungen auf, sagt Martin Sander, der Chef der niedersächsischen Sander GmbH.Er wisse, wovon er spreche, sagt Sander. Die Firma baut seit etwa vier Jahrzehnten große Aquarien - zum Beispiel Sea-Live-Center, in denen wesentlich größere Fische schwimmen als die Doraden, Wolfsbarsche und Störe, die in Völklingen gezüchtet werden sollen. "Meereswasser im Binnenland ist unser Geschäft", sagt Sander. "Wir kommen nicht ins Saarland, weil wir es vielleicht können, sondern weil wir es können", legt Professor Waller nach.Frischer als aus dem MeerUnd es sei nicht nur machbar, im Binnenland Meeresfische zu züchten, es sei auch sinnvoll. Die rund 500 Tonnen Fisch, die in Völklingen pro Jahr produziert werden sollen, werden zwar nicht verhindern, dass weiter mehr Fisch aus dem Meer gezogen wird, als dem Ökosystem gut tut. Aber Völklingen sei ja auch nur ein Anfang. In Völklingen soll gezeigt werden, dass Meeresfischzucht ein profitables Geschäft und nicht nur ein wissenschaftliches Fachgebiet ist. Sander, Waller und Wecker sind überzeugt, dass sie diesen Beweis führen werden. Denn frischer als der aus der Anlage könne kein Fisch aus dem Meer zu den Verbrauchern kommen. "Wir kreieren unseren eigenen Ozean", schwärmt Bert Wecker. Ein Ozean, in dem es allerdings tierfreundlicher zugehe als im echten, sagt Professor Waller. Es müsse jedem klar sein: Die Fische werden gezüchtet, um getötet zu werden. Das sei in der Meeresfischzuchtanlage nicht anders als in einem Süßwasser-Forellenteich, einem Schweinestall oder einer Hühnerzuchtanlage.Die Art des Tötens sei sehr "milde". Die Fische werden im Wasser elektrisch betäubt und unter Eis gelegt, erklärt Waller. Das Sterben im Wasser sei "kein Stress für die Tiere" - im Gegensatz zur Hochseefischerei, wo Fische stundenlang in Schleppnetzen durchs Wasser gezogen werden und nach Luft japsen, wenn sie aufs Deck gekippt werden. Auch die engen Becken seien kein Problem, sagt Waller. Die Fische bilden "enge Schwärme", erklärt der Professor und nutzen nicht einmal den Platz in der kleinen niedersächsischen Anlage aus.Dass an die Zuchtfische unter anderem Fischmehl und Fischöl verfüttert wird, klinge zwar auch merkwürdig, sei aber in Ordnung. Das Fischmehl sei sozusagen ein Abfallprodukt. Es werden keine Meeresfische gefangen, um damit Zuchtfische zu füttern, versichert er. Es werde bereits mit pflanzlichen Proteinen experimentiert, die Fischmehl ersetzen können.In der Anlage werden zwar wohl nicht mehr als acht Arbeitsplätze geschaffen, sagt Sander, aber Völklingen habe dadurch ein "Alleinstellungsmerkmal", das international Aufmerksamkeit erzeugt. "Wir werden Forschungstourismus bekommen", verspricht Professor Waller. Erstmal werden Waller und seine Kollegen aber selbst reisen, um von ihren Erfolgen zu berichten. Im Oktober steht die saarländische Anlage auf der Tagesordnung eines internationalen Fischereikongresses im portugisischen Porto. Dann wird wieder gefragt: "Hey, Uwe, wie weit seid Ihr eigentlich in Völklingen?"

HintergrundDie Meeresfischzuchtanlage auf dem ehemaligen Kokereigelände in Völklingen-Fürstenhausen ist umstritten. Die Kernfrage ist: Darf sich die Stadt mit Hilfe ihrer Stadtwerke wirtschaftlich engagieren? Ein Konkurrent aus Nordrhein-Westfalen hat dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Stadtwerke Völklingen sind mit 89,9 Prozent an der Anlage beteiligt. 10,1 Prozent hält die International Fish Farming Technology GmbH. "Wenn die Firmen nicht nach Völklingen kommen, müssen wir sie uns basteln", sagt Heribert Henner von den Stadtwerken. Fünf bis sieben Millionen Kilowattstunden Strom und Wärme nehme die Anlage im Jahr ab und sichere so Gewinne für die Stadtwerke. Außerdem zahle die Anlage Gewerbesteuern an die Stadt. ols

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