"Wir brauchen eine Pflegereform"

Die Gewerkschaft Verdi spricht von einem "Pflegenotstand" im Saarland. Ist es um die Pflege wirklich so schlecht bestellt?Storm: Im Vergleich mit anderen Ländern sind wir im Saarland recht gut aufgestellt. Das zeigt auch die hohe Zahl von rund 1000 jungen Menschen in der Pflegeausbildung

 Andreas Storm will Bürokratie in der Pflege abbauen. Foto: Dietze

Andreas Storm will Bürokratie in der Pflege abbauen. Foto: Dietze

Die Gewerkschaft Verdi spricht von einem "Pflegenotstand" im Saarland. Ist es um die Pflege wirklich so schlecht bestellt?

Storm: Im Vergleich mit anderen Ländern sind wir im Saarland recht gut aufgestellt. Das zeigt auch die hohe Zahl von rund 1000 jungen Menschen in der Pflegeausbildung. Wir haben durch den Pflegedialog und mit dem künftigen Pflegebeauftragten im Saarland zusätzliche Mechanismen, die andere nicht haben. Damit können wir auch schauen, dass Missstände nicht nur aufgedeckt, sondern beseitigt werden.

Aber Beschäftigte in den Heimen klagen, dass sie aus Zeitmangel Leistungen dokumentieren, die nie erbracht wurden.

Storm: Wenn jemand sagt, dass er Leistungen dokumentiert, die er nicht erbracht hat, dann ist das nicht korrekt. Dem muss nachgegangen werden. Hier brauchen wir genaue Auskünfte, mit pauschalen Behauptungen hingegen kann ich nichts anfangen.

Pflegekräfte klagen über die aufwendige Dokumentation, durch die weniger Zeit für Heimbewohner bleibt.

Storm: Wir haben im Rahmen des Pflegedialogs begonnen zu prüfen, ob es bei der Dokumentation Dinge gibt, die man möglicherweise nicht braucht. Wir wollen in der Pflege - ebenso wie übrigens im gesamten Gesundheitswesen - Bürokratie abbauen. Das geht aber nur gemeinsam, mit den Kassen, mit allen Vertretern in der Pflege und mit der Ärzteschaft.

Vor einem halben Jahr wurde der Pflegeskandal in Elversberg bekannt. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Vorfall?

Storm: Eine Konsequenz ist die Einrichtung eines Pflegebeauftragten. Ich gehe davon aus, dass wir voraussichtlich im März zur Verabschiedung des Gesetzesentwurfs und zur Wahl des ersten Pflegebeauftragten kommen werden. Dieser ist im gesamten Land Ansprechpartner für die Belange der Pflege, aber er ist auch jemand, der Verbesserungen in der Pflege anregen soll. Darüber hinaus brauchen wir bundesweit zwingend einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Wir wollen, dass das bisherige dreistufige System in der Pflege abgelöst wird durch ein ganzheitliches System. Als die Pflegeversicherung 1994 eingeführt worden ist, wollte man einen möglichst engen Pflegebegriff. Das hat sich im Nachhinein als gravierender Fehler erwiesen. Zum Beispiel werden die Einschränkungen von Demenzkranken nicht berücksichtigt. Allerdings ist mit der zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Reform gerade beim Thema Demenz ein Einstieg erfolgt.

Bis 2030 fehlen im Saarland 4800 Pflegefachkräfte. Können die hohen Ausbildungszahlen diesen Mangel auffangen?

Storm: Wenn wir das jetzige Niveau halten, ist es zu schaffen. Durch die Ausbildungsumlage, die im Herbst 2011 beschlossen worden ist, haben wir einen deutlichen Anstieg an Auszubildenden in der Pflege mit über 400 Absolventen pro Jahr. Noch besser wären 500. Daneben planen wir Modelle, wie die Rückkehr in den Beruf etwa nach der Elternzeit gelingen kann und wie Beruf und Familie in der Pflege besser zu vereinbaren sind.

Wer soll für das zusätzliche Personal bezahlen? Kommen da auf die Bürger höhere Ausgaben zu?

Storm: Da stellt sich zuerst die Frage: Wie viel ist uns die Pflege wert? Ich wage die Prognose, dass wir am Ende bereit sein müssen, einen höheren Beitragssatz für die Pflegeversicherung zu bezahlen. Den kann man jetzt noch nicht beziffern.

Wenn die Pflegesätze deutlich weiter steigen würden, dann wird auch der Eigenbeitrag, den jeder Pflegebedürftige zahlen muss, immer höher. Da für Menschen mit einem geringen Alterseinkommen hier die Hilfeleistungen des Staates greifen, würden Träger der Sozialhilfe immer mehr aufwenden müssen. Nicht zuletzt um all diese Probleme zu lösen, brauchen wir zu Beginn der neuen Wahlperiode im Bund eine große Pflegereform.

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