Krankenkassen-Beiträge Wie ein Blumenhändler die Politik bewegte

Saarbrücken · Seit einem Jahr setzt sich Blumenhändler Andreas Müller für gerechtere Krankenkassenbeiträge für Selbständige ein. Jetzt will die große Koalition den Schwellenwert für den Mindestbeitrag absenken. Doch Müller kämpft weiter.

 Blumenhändler Andreas Müller kämpft für gerechtere Krankenkassenbeiträge für Selbstständige. Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) besuchte ihn am Freitag an seinem Stand auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken.

Blumenhändler Andreas Müller kämpft für gerechtere Krankenkassenbeiträge für Selbstständige. Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) besuchte ihn am Freitag an seinem Stand auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken.

Foto: Oliver Dietze

Andreas Müller ist heute etwas früher aufgestanden, um seinen Blumenstand auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken aufzubauen. Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) hat sich angekündigt, und Ministerbesuch bekommt man als Blumenhändler ja eher selten.

Seit fast einem Jahr kämpft der 48-Jährige für gerechtere Krankenkassenbeiträge für geringverdienende Selbständige. Denn die Krankenkassen verlangen von den freiwillig Versicherten einen Mindestbeitrag, der von einem Gewinn von rund 2284 Euro ausgeht – eine Summe, die viele Freiberufler gar nicht erreichen. Im Mai 2017 startete er eine Petition und traf damit offenbar einen Nerv. Mehr als 110 000 Menschen haben bereits unterschrieben. Doch Müller beließ es nicht dabei, kurz vor den Koalitionsgesprächen schrieb er den saarländischen Politikern, die mit am Verhandlungstisch saßen. Sowohl Peter Altmaier (CDU) als auch Anke Rehlinger (SPD) sicherten ihm zu, sich für die Belange der Selbständigen einzusetzen. Tatsächlich setzten sich Union und SPD nun im Koalitionsvertrag das Ziel, die Bemessungsgrundlage für den Mindestbeitrag von heute 2284 Euro auf 1150 Euro zu halbieren.

Und weil Müller für all die kleinen Selbständigen steht, die davon profitieren würden, schaut Rehlinger am Freitag an seinem Stand vorbei: „In der politischen Debatte ist man am überzeugendsten, wenn man ein Praxisbeispiel anführen kann.“ Es ist ein Teilerfolg, darin sind sich beide einig. Laut Rehlinger war die SPD mit der Forderung nach einer Bemessungsgrenze von 850 Euro in die Verhandlungen gestartet. Die Union wollte 1450 Euro, man traf sich in der Mitte. „Vielleicht ist sogar noch ein bisschen Luft nach oben“, meint Rehlinger vorsichtig. Das Thema ist nicht neu: Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatte die Linke einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem sie forderte, die Bemessungsgrenze auf 450 Euro abzusenken. Der größte Widerstand kam damals von der Union.

Müller interessiert am Freitag vor allem, wie schnell das Ganze nun Realität wird: „Nur weil etwas im Koalitionsvertrag steht, heißt das ja noch nicht, dass es auch umgesetzt wird.“ Einen konkreten Termin kann Rehlinger ihm nicht nennen, ins 100-Tage-Programm der Bundesregierung werde es das Vorhaben wohl nicht schaffen.

Müller ist froh, dass nun endlich Bewegung in die Sache kommt, für ihn ist aber auch klar: „Ich kämpfe weiter.“ Sein Ziel: Die Beitragshöhe soll sich am tatsächlichen Einkommen bemessen. „Warum soll ich von einem fiktiven Einkommen Beiträge bezahlen?“ Als der 48-Jährige vor acht Jahren arbeitslos wurde, wagte er mit einem kleinen Blumenstand den Schritt in die Selbständigkeit. Reich wurde er damit nicht. Im Schnitt verdient er 1200 Euro brutto. Bis vor kurzem flossen davon jeden Monat 410 Euro an die Krankenkasse ab. Weil er noch ein paar Ersparnisse hatte, kam er auch nicht für eine Beitragsermäßigung in Frage. Inzwischen ist das Polster aufgebraucht, jetzt zahle er den ermäßigten Beitrag von 280 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung. Trotzdem will er weitermachen, notfalls zieht er vor Gericht: „Im Vergleich zu dem, was Angestellte zahlen, sind die Beiträge einfach ungerecht.“

Viele Freiberufler überfordert die monatliche Summe, die sie an die Krankenkasse zahlen müssen. Einem Bericht der „Welt“ zufolge verzeichnen die Kassen immer höhere Beitragsrückstände, insgesamt 6,15 Milliarden Euro. „Nicht alle Selbständigen sind wohlhabend, haben Wohneigentum und ein tolles Auto“, sagt Müller. Deshalb ist für ihn noch lange nicht Schluss. Er hört erst auf, wenn sich der Beitrag an seinem tatsächlichen Einkommen orientiert.

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