Saarbrücker Pfarrer Wer zu krank ist, bekommt kein Herz

Saarbrücken/Heidelberg · Organspende-Schicksal: Der Gesundheitszustand des Saarbrücker Pfarrers Jörg Metzinger hat sich drastisch verschlechtert.

 Mit erhobenem Daumen zeigt sich Pfarrer Jörg Metzinger auf seinem neusten Selfie aus der Heidelberger Klinik. Aber der Gesunheitszustand des 51-Jährigen hat sich drastisch verschlechtert.

Mit erhobenem Daumen zeigt sich Pfarrer Jörg Metzinger auf seinem neusten Selfie aus der Heidelberger Klinik. Aber der Gesunheitszustand des 51-Jährigen hat sich drastisch verschlechtert.

Foto: Jörg Metzinger

Gibt es eine Steigerungsform von Warten? Warten in einer Transplantationsklinik. Denn das ist alternativlos: Man wird rechtzeitig operiert oder man stirbt. Als die Saarbrücker Zeitung Ende Januar über den Herzpatienten Jörg Metzinger (51) berichtete, war der bereits 238 Tage in der Uniklinik Heidelberg auf der Transplantationsabteilung und hatte sogar schon einmal den „Marschbefehl“ Richtung Operationsaal. Was hieß: Der Schafbrücker Pfarrer, im Saarland als „Reverend Blues“ und Initiator der „Bunt-statt-braun“-Demos bekannt, stand und steht ganz, ganz oben auf der Dringlichkeitsliste. „Das nächste Herz ist meins!“, frohlockte Metzinger, nachdem  das erste passende Herz dann doch anderweitig vergeben worden war. Man wähnte ihn längst operiert. Doch Metzinger wartet immer noch. Zwischenzeitlich nähert er sich seinem 300. Tag in „Haft“, wie er das nennt. Damit liegt er um das Dreifache über der Durchschnitts-Wartezeit für ein Organ; sie beträgt in Deutschland 100 Tage. „Es gibt  eben keine Regeln, das habe ich während meines Aufenthaltes hier gelernt“, sagt Metzinger auf SZ-Nachfrage. Oder doch. Nämlich, dass es schwerst Herzkranken wie ihm irgendwann immer schlechter geht. Der Körper baut drastisch ab. Im Januar erlebte Metzinger einen Absturz, litt unter Durchfällen und Appetitlosigkeit, nahm vier Kilo ab, quälte sich mit einer Erkältung. Seine Frau kam mit Mundschutz.

Sein Zustand war fast schlimmer als bei seiner Einlieferung. Damals kam der frühere 90-Kilo-Mann nach mehreren Wiederbelebungen mit nur noch 71 Kilo in der Klinik an, kämpfte sich auf 77 Kilo hoch: „Die Arbeit bestand darin, so viel wie möglich zu essen.“ Ähnliches wiederholte sich in den vergangenen Wochen: Das Reinzwingen von Hochkalorien-Kost, auch von Astronautennahrung. Der Grund: Bei Untergewicht droht die Streichung von der OP-Liste. Metzinger: „Es verringert die Überlebenschancen, denn die Patienten verlieren nach der Transplantation nochmal etwa zwei Kilo.“ Metzinger fürchtete demnach, zwangsernährt zu werden: „Dann laufen die Infusionen rund um die Uhr, man kann nicht mehr aus dem Bett“. Das Ergebnis: Muskelabbau - und eine weitere Gefährdung, ein Organ zu bekommen.

Denn Transplantationspatienten unterliegen einem unbarmherzigen Gesetz: Um auf die Liste zu kommen, muss man krank genug sein, also sehr krank, aber um drauf zu bleiben, darf es einem nicht zu schlecht gehen.

Nun, aus dem „Abnehm-Strudel“ ist Metzinger erst mal raus. Er habe schon wieder sachte zugelegt, erzählt er, und nähme wieder – mit Rollator ­­ – am täglichen „Rudellaufen“ mit anderen Kranken teil. Wohlgemerkt innerhalb der Klinik, vier Mal die gleiche 250-Meter-Runde. Metzinger trifft immer weniger Bekannte. Seit er in Heidelberg ist, hat er acht Mitleidende erlebt. Nur noch zwei sind übrig, die mit ihm warten. Vier wurden erfolgreich transplantiert, zwei sind gestorben. Beide letztendlich wegen körperlicher Komplikationen auf Grund zu langer Wartezeiten.

Wie ist Metzingers mentale Verfassung? Staunenswert stabil. Bei den niedrigen Transplantationszahlen lasse sich das Warten eben nicht mehr so wie früher ausrechnen, meint er. Aber durch den Gleichlauf seiner „Hafttage“ habe „die Zeit an sich“ ihren Schrecken verloren, erzählt er. Auch habe er eine autobiografische Shortstory verfasst, um endlich mal über sich hinweg zu kommen: Sie handelt von der Situation des Pflegepersonals. Überhaupt interessiert sich Metzinger für das Große und Ganze, die gesundheitspolitische Situation. Er übt Kritik am deutschen Transplantationssystem, das er im Vergleich zu anderen europäischen Staaten schlecht aufgestellt sieht. Wenn 70 Prozent der Deutschen zu einer Organspende bereit seien, aber im vergangenen Jahr die Zahl der zur Verfügung gestellten Organe um 60 auf 797 abgesackt sei, „Dann läuft doch was falsch“, meint er. Metzinger sorgt sich: Deutschland könnte aus dem Eurotransplant-Verbund gestrichen werden, der eine Quote von 100 gespendeten Organen pro einer Million Einwohner vorsehe. Dann wäre Warten nicht mehr alternativlos, sondern aussichtlos.

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