Juristischer Ansatz zum Thema Demenz Welche Rechte haben Demenz-Patienten?

Saarbrücken · Fixierung am Bett und Zwangsmedikation – Maßnahmen, die bei Menschen mit Demenz oft angeordnet werden. Richter Peter Müller erklärt, wann diese Eingriffe zulässig sind.

 Fixierung eines Patienten durch Festschnallen der Handgelenke ist in der Pflege eine der Maßnahmen, um Demenz-Patienten vor sich selbst zu schützen. Experten sehen darin jedoch einen Eingriff ins Freiheitsrecht.

Fixierung eines Patienten durch Festschnallen der Handgelenke ist in der Pflege eine der Maßnahmen, um Demenz-Patienten vor sich selbst zu schützen. Experten sehen darin jedoch einen Eingriff ins Freiheitsrecht.

Foto: dpa/Hans-Jürgen Wiedl

Vergesslich, verwirrt, orientierungslos: Bundesweit leiden rund 1,6 Millionen Menschen an Demenz. Bis 2050, so schätzen Experten, sollen es rund drei Millionen sein. Im Saarland sind es aktuell über 20 000. Wer an Demenz erkrankt, leidet unter dem fortschreitenden Verlust der geistigen Fähigkeiten wie denken, erinnern, orientieren.

Dieser Verlust stellt Angehörige, Ärzte und Pfleger in vielen Situationen vor juristische und ethische Fragen: Wenn der Patient immer mehr die Kontrolle über sein Leben verliert, inwiefern dürfen andere dann für ihn entscheiden – vielleicht sogar gegen seinen Willen? Dürfen Ärzte den Patienten durch Fixierungen vor sich selbst schützen? Antworten auf diese Fragen weiß Peter Müller (CDU), Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts und ehemaliger saarländischer Ministerpräsident. In  seinem Fachvortrag im SZ-Forum erklärte er jetzt rund 130 Gästen, welche Rechte Menschen mit Demenz haben.

Und er stellte klar: Trotz der Krankheit ist der Patient weiterhin ein „Mensch mit einer unantasbaren Würde und kein Objekt“. Jeder Mensch habe das Recht auf einen freien Willen und Selbstbestimmung, as ihm nicht genommen werden könne, selbst wenn er dement ist. „So gesehen hat der Mensch auch das Recht unvernünftig oder krank zu sein, das heißt sich gegen eine Therapie zu entscheiden“, fügte Müller hinzu. Und dieser Wille muss von Angehörigen und Ärzten respektiert werden.

Selbst in Phase zwei der Krankheit, trotz zunehmender Hilfsbedürftigkeit, sei der Demenzkranke nicht der Willkür der Ärzte beziehungsweise Pfleger ausgesetzt. sagt Müller. „Arzt und Pfleger haben die Pflicht, Patienten über Therapie und Medikation aufzuklären und die Betroffenen müssen zustimmen. Wenn nicht ist es Körperverletzung.“ Bei zunehmendem Autonomie-Verlust sprach Möller von einer „assistierten Selbständigkeit“.

Im späten Stadium der Krankheit lassen Orientierung und Motorik fast vollkommen nach. Menschen mit Demenz sind komplett auf Hilfe angewiesen. Der Begriff „Demenz“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „ohne Geist“ und so sehen viele den Demenzkranken im letzten Stadium auch: Er ist nicht mehr er selbst und kann eine Gefahr für sich werden. Beispielsweise wenn er alleine durch die Straßen läuft.

Hier beginnt nun die Problematik. Denn trotz stark abnehmender geistiger und körperlicher Fähigkeiten habe der Patient ein Recht auf Selbstbestimmung, sagte Müller. „Wünsche des Kranken dürfen nicht übergangen werden.“ Aber: Was ist, wenn eine medizinische Maßnahme notwendig wird, der Patient diese in seiner verwirrten Gefühlslage aber ablehnt? Oder ein Demenzkranker sich bewegen will, jedoch die Gefahr besteht er könne sich verletzten oder verirren?

In diesen Fällen sei der Punkt erreicht, an dem Angehörige und Ärzte in die Entscheidungsfreiheit des Menschen eingreifen könnten, erklärte Müller: Zum Beispiel mit einer Fixierung am Bett oder einer Zwangsmedikation. Eine Fixierung, auch wenn sie zum Selbstschutz angeordnet wurde, sei jedoch ein schwerer Eingriff ins Freiheitsrecht des Betroffenen. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass dieser komplett auf fremde Hilfe angewiesen ist. „Das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung bleibt auch in der schweren Phase der Demenz bestehen“, sagte Müller.

Um diese Rechte zu umgehen, müssten „hohe Hürden“ überwunden werden: Ein Gericht müsse der Fixierung zustimmen. „Und es sollte die allerletzte Lösung sein, wenn sonst gar nichts mehr geht“ sagte Müller. Erst dann seien Fixierungen oder Zwangs-Medikationen zulässig.

 Peter Müller, Bundesverfassungsrichter und ehemaliger saarländischer Ministerpräsident (CDU).

Peter Müller, Bundesverfassungsrichter und ehemaliger saarländischer Ministerpräsident (CDU).

Foto: Sozialministerium

Was sind die Alternativen? Welche Möglichkeiten außer der Fixierung hätten die unterbesetzten Pflegebereiche im Saarland, um Menschen mit Demenz vor sich selbst zu schützen?, fragte Müller. Nur mehr Personal mache Fixierung unnötig, sagte er. Denn eine Fixierung nur als Eingriff in die Grundrechte zu bezeichnen, sei eine  „Verharmlosung der Situation“. Müller: „Wie wir mit unseren Demenzkranken umgehen, entscheidet darüber, wie human unsere Gesellschaft ist.“

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