Letzte Lebensphase Was tun, wenn das Leben zu Ende geht?

Nohfelden · Seit einiger Zeit können Pflegeheime mit ihren Bewohnern in einer Versorgungsplanung genau festlegen, wie deren letzte Lebensphase aussehen soll. Im Caritas-Seniorenzentrum Haus am See führt David Fitzpatrick diese Gespräche, die oft nicht einfach sind.

 „Es ist immer zu früh, um über das Sterben zu sprechen – bis es dann zu spät ist“, sagt David Fitzpatrick. Er ist Gesprächsbegleiter und erstellt mit Bewohnern im Haus am See oder deren Angehörigen eine Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase.

„Es ist immer zu früh, um über das Sterben zu sprechen – bis es dann zu spät ist“, sagt David Fitzpatrick. Er ist Gesprächsbegleiter und erstellt mit Bewohnern im Haus am See oder deren Angehörigen eine Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase.

Foto: B&K/Bonenberger/

Marlene Schneider (Name geändert) hat akzeptiert, dass ihr Mann wohl bald sterben wird. 95 ist er, hat einen Schlaganfall hinter sich und reagiert nur noch auf wenige Dinge. Neulich, da hat er sie nochmal überrascht. Als sie ihm von früher erzählte, sagte er unvermittelt: „Wir packen das.“ Sie weiß, dass das Ende naht. „Ich habe es angenommen“, sagt sie. Aber dann kommen ihr doch die Tränen, als David Fitzpatrick fragt, wie dieses Ende denn aussehen soll.

Fitzpatrick ist Fachpfleger und Gesprächsbegleiter im Haus am See in Neunkirchen/Nahe. Er entwirft mit allen Bewohnern des Caritas-Seniorenzentrums, die das möchten, eine sogenannte „Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase“. Hinter dem sperrigen Begriff stecken elementare Fragen: Wie will ich sterben? Möchte ich reanimiert werden, wenn ich plötzlich tot zusammensacke? Soll alles Menschenmögliche getan werden, um mich am Leben zu erhalten, oder gar nichts? Oder will ich nur Linderung? Dinge, die auch in einer Patientenverfügung geklärt werden können. Allerdings reicht die Versorgungsplanung weiter, umfasst auch pflegerische, psychosoziale und spirituelle Aspekte: Welche Menschen möchte der Bewohner um sich haben? Lehnt er Bluttransfusionen oder Schmerztherapien aus religiösen Gründen ab? Auch grundlegende Einstellungen zu Leben und Tod sowie Wertevorstellungen fragt Fitzpatrick ab.

Erst seit einigen Jahren wächst das Bewusstsein, wie wichtig die Palliativversorgung in Pflegeheimen ist. „Als ich hier anfing, spielte das quasi keine Rolle“, erinnert sich Steffi Gebel, seit 2006 Leiterin des Hauses am See. Das Seniorenzentrum sei Vorreiter gewesen, zwei Modellprojekte zur palliativen Versorgung haben sie bereits durchgeführt.

Erst 2015 legte der Bund fest, dass die Sterbebegleitung ausdrücklicher Bestandteil des Versorgungsauftrags der Sozialen Pflegeversicherung ist. 2018 einigten sich die Krankenkassen und die Träger der Pflegeheime auf eine Rahmenvereinbarung, die die Inhalte der Versorgungsplanung regelt. Die Heime sind jedoch nicht verpflichtet, die Beratungen, die die Krankenkassen finanzieren, anzubieten. Wie viele Einrichtungen im Saarland dies tun, weiß man beim Sozialministerium deshalb auch nicht, begrüßt es aber, wenn es der Fall ist. So könne der Bewohner nicht nur seinen Willen für die letzte Lebensphase festlegen, es sorge auch für Sicherheit bei den Mitarbeitern, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Das kann auch Heimleiterin Gebel bestätigen: „Wenn es ernst wird, wissen sie, was zu tun ist.“ Die Notfall-Dokumente werden nach einem einheitlichen Muster hinterlegt – und zwar griffbereit. Auch für die Angehörigen sei es eine Bereicherung, sagt Stephan Manstein, Direktor der Caritas-Altenhilfe. „Wenn man sich vorher nicht mit dem Sterbeprozess beschäftigt hat, kann er chaotisch verlaufen.“ Dann kommt es vor, dass bei einem Bewohner die Atmung aussetzt und die Pfleger mitten in der Nacht einen völlig überforderten Angehörigen aus dem Bett klingeln und fragen müssen, ob reanimiert werden soll oder nicht. Die Caritas plant laut Manstein, das Konzept in allen ihren 13 Seniorenheimen anzubieten.

Ist ein Bewohner nicht mehr in der Lage, selbst für sich zu sprechen, können Angehörige das Gespräch übernehmen. In solchen Fällen hakt Fitzpatrick nach, versucht herauszufinden, ob es wirklich im Sinne eines Bewohners ist, reanimiert zu werden, oder ob es einem Angehörigen nur schwerfällt, loszulassen. Das ging auch Marlene Schneider so. 2016, als es nach einem Sturz kritisch aussah, „da wollte ich ihn nicht gehen lassen“, erzählt sie. Jeden Tag sitzt sie an seinem Bett. Wenn sie für ein paar Stunden weg muss, um seine Wäsche zu waschen, zieht sie ihren Mantel im Flur an, damit er nicht merkt, dass sie länger fort sein wird.

Sie hat eine Vorsorgevollmacht ihres Mannes, sie trifft alle Entscheidungen. Dass das nicht einfach ist, weiß Fitzpatrick aus eigener Erfahrung. Er hat auch mit seiner Familie über das Sterben gesprochen und musste feststellen, dass Menschen, die er in- und auswendig zu kennen glaubte, im Fall der Fälle anders entscheiden würden, als er erwartet hatte. „Wenn bei Ihrem Mann das Herz aussetzen würde, sollte man medizinisch eingreifen, um sein Leben zu verlängern?“, fragt Fitzpatrick. Die Antwort kommt prompt: „Nein, auf keinen Fall.“ Wenn ich gehe, geh’ ich, habe er immer gesagt. Nur leiden soll er nicht, qualvoll ersticken, „das wäre das Schlimmste“.

Fitzpatrick hat sich für die Beratungen weitergebildet, 48 Stunden Theorie, 12 Stunden Praxis, 14 durch Trainer begleitete Gespräche. Es ist nicht einfach, solche Gespräche zu führen, es braucht Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen, man darf sein Gegenüber nicht beeinflussen. Alles findet ohne Druck, ohne Zwang statt. Nach Wunsch können auch Arzt oder Angehörige des Bewohners dabei sein. Oft sind es zwei, drei Gespräche über mehrere Wochen, bis ein fertiges Dokument steht, das auch danach noch angepasst werden kann. Und: „Der Bewohner hat immer das letzte Wort – auch wenn er seine Einstellung in einem akuten Notfall spontan ändert“, sagt Fitzpatrick.

Marlene Schneider ist nach dem ersten Gespräch etwas mitgenommen. „Das war doch nicht so einfach, wie ich dachte.“ Sie wollen an einem anderen Tag weitermachen. „Das machen wir aber bald“, sagt sie zum Abschied. „Man muss ja mit allem rechnen.“

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