Kriminalität Warum Messer der Polizei Sorgen bereiten

Saarbrücken · Erstmals liegen Zahlen zu dem Phänomen vor – mit erhellenden Befunden. Der Innenminister setzt auf Videokameras, die erst 2019 kommen sollen.

 Meldungen über schnell gezückte Messer verunsichern die Bevölkerung. Einer Auswertung der Polizei zufolge gab es seit 2016 insgesamt 1490 Fälle, bei denen ein Messer im Spiel war.

Meldungen über schnell gezückte Messer verunsichern die Bevölkerung. Einer Auswertung der Polizei zufolge gab es seit 2016 insgesamt 1490 Fälle, bei denen ein Messer im Spiel war.

Foto: picture-alliance/ dpa/Ingo Wagner

Es war echte Sisyphusarbeit, für die zwei Polizisten, die zehn Wochen lang von ihrer normalen Tätigkeit freigestellt wurden. Im Auftrag von Innenminister Klaus Bouillon (CDU) überprüften sie sämtliche Strafanzeigen und Ordnungswidrigkeiten im Zeitraum 1. Januar 2016 bis 30. April 2018 darauf, ob bei der Tat ein Messer im Spiel war – ob es also stimmt, dass Messer-Kriminalität ein zunehmendes gesellschaftliches Problem ist.

„Wir wollten uns nicht auf Gefühle verlassen, sondern auf Zahlen, Daten, Fakten“, sagt LKA-Chef Gerald Stock. Aus der Kriminalstatistik lässt sich das nicht herauslesen, weil dort nur Straftatbestände, etwa gefährliche Körperverletzung, erfasst werden, aber keine Tatmittel.

Seit gestern liegt nun eine Auswertung zu dem Thema („Lagebild“) vor, die erhellende Befunde zu Tage fördert. Die Zahl der relevanten Fälle steigt seit Beginn des Betrachtungszeitraums merklich (2016: 562, 2017: 672, Hochrechnung für 2018: über 760). Darin sind alle Taten mit Messer-Bezug erfasst, die in der Öffentlichkeit auf einer Straße oder einem Platz wahrnehmbar waren – eine Messerstecherei ebenso wie ein Ladendiebstahl oder ein Drogendelikt, wenn der Täter ein Messer dabei hatte. In 45 Prozent der insgesamt 1490 Fälle wurde das Messer eingesetzt, um jemanden zu verletzen oder zu bedrohen.

Auffällig: Auf dem Land, etwa im Nordsaarland oder im Bliesgau, spielen Messer-Vorfälle so gut wie keine Rolle. Ganz anders in den Städten. In Saarbrücken-St. Johann mit den Problemvierteln Hauptbahnhof, Johanneskirche und Kaiserviertel hat die Zahl der Vorfälle 2017 um 32 Prozent zugenommen; für 2018 wird ein weiterer Anstieg um 47 Prozent prognostiziert. „Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt geht, kennt die Stellen seit geraumer Zeit“, sagte Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD). „Nun sind sie durch die aktuelle polizeiliche Auswertung bestätigt worden.“ Britz sieht sich in ihrer Forderung nach mehr Polizei vor allem in den Abend- und Nachtstunden bestätigt.

Die Sonderauswertung liefert auch Informationen zu Tätern und Opfern. „Wenn die Medien drei Mal schreiben, dass ein Afghane mit einem Messer eine Attacke gemacht hat, dann schreien viele Leute: Immer die Ausländer, die Flüchtlinge!“, sagt Bouillon. „Die nackten Zahlen zeigen etwas Anderes.“ In der Stadt Lebach, Heimat der Landesaufnahmestelle mit immerhin mehr als 1000 Asylbewerbern, erfasste die Polizei nur halb so viele Vorfälle wie in Saarlouis.

In rund 70 Prozent der Fälle ist der Täter demnach ein Deutscher. Aufgrund der öffentlichen Diskussion hatte Bouillon auch die Werte für Syrer und Afghanen ermitteln lassen, die im Verhältnis zur Einwohnerzahl überproportional vertreten sind. Allerdings ist die Statistik zu Ungunsten der Asylbewerber etwas verzerrt: Taten in Wohnungen (etwa häusliche Gewalt) wurden grundsätzlich nicht erfasst, weil man davon ausging, dass diese das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht beeinträchtigen – Taten in Asylunterkünften wurden aber sehr wohl mitgezählt, um auch Straftaten gegen Flüchtlinge zu erfassen. Ein weiterer Befund: Afghanische, syrische und deutsche Täter schädigen am häufigsten Personen der gleichen Nationalität.

Angesichts der steigenden Messer-Vorfälle sollen Polizisten in ihrer Ausbildung besser auf die Herausforderung vorbereitet werden. Bouillon hält auch bessere Schutzwesten und Handschuhe für nötig – darauf drängte gestern auch die Deutsche Polizeigewerkschaft.

Als Reaktion auf das Messer-Phänomen will Innenminister Bouillon den Kommunen nicht nur Waffenverbotszonen ermöglichen; er fühlt sich auch in seinem Ansinnen bestätigt, die Videoüberwachung in Saarbrücken auszubauen. Die Kameras an der Johanneskirche und am Hauptbahnhof sollten eigentlich schon seit einem Jahr hängen, was beim Koalitionspartner SPD regelmäßig für Spott sorgt. Es habe sich herausgestellt, „dass niemand in diesem Land Erfahrung und die geringste Ahnung hatte, was auf uns zukommt“, räumte Bouillon gestern ein. Mittlerweile befinde man sich in der Ausschreibungsphase. Noch 2018 sollen Kameras getestet werden, 2019 soll es losgehen. Auf einen Zeitpunkt will sich Bouillon aber nicht mehr festlegen lassen.

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