Warum Franzosen jetzt lieber bei uns essen gehen

Mein Mathematiklehrer war mein Feind. Das lag nicht nur daran, dass er Mathematik unterrichtete. Der Mann besaß auch ein besonderes pädagogisches Talent und einen Blick fürs Große und Ganze

Mein Mathematiklehrer war mein Feind. Das lag nicht nur daran, dass er Mathematik unterrichtete. Der Mann besaß auch ein besonderes pädagogisches Talent und einen Blick fürs Große und Ganze. Das pädagogische Talent drückte sich darin aus, dass er uns junge Menschen, die wir gerade erst mit einer Mischung aus Neugier und Furcht von der Grundschule aufs Gymnasium gewechselt hatten, als "geistige Tiefflieger", "mathematische Kleingärtner" und "Versager" betrachtete - und uns das auch sagte. Sein Blick fürs Große und Ganze ruhte auf uns, wenn er es für nötig hielt, sich in die Fachkompetenz seiner Kollegen einzumischen.Wieso sich einige von uns mit dem Französischen schwer taten, konnte er zum Beispiel nur mit der Inkompetenz der jungen Französischlehrerin erklären. Die habe uns wohl nicht gesagt, dozierte er, dass wir es doch nur ein paar Meter bis nach Frankreich haben. Wenn man öfter mal den Hintern hochkriege und nach Frankreich rüberfahre, dann lerne man doch von ganz alleine Französisch.Es war mir lange unverständlich, wieso es diese Methode nicht in die Lehrpläne fürs Fach Französisch an saarländischen Schulen geschafft hat.

Inzwischen habe ich den Verdacht: Die Idee meines Mathematiklehrers kam zu spät. Bis die Mühlen der Ministerialbürokratie endlich so weit waren, die Bedeutung dieser Methode zu erfassen und in einen Lehrplan zu fassen, hatte sich die Wirklichkeit geändert. Wer heute Französisch lernen will, muss nicht über die Grenze fahren, um die Franzosen beim Parlieren zu belauschen.

Er muss einfach nur in Saarbrücken essen gehen. Ohne die Franzosen, hat mir neulich ein Kellner gesagt, liefe das Schnitzelgeschäft in manchem Saarbrücker Gasthaus nicht so gut. Die Franzosen kommen aber nicht nur wegen der gutbürgerlichen Küche. Der Grieche in der Eisenbahnstraße ist längst so etwas wie ein französisches Speisezimmer. Und Kim Zocher, der Manager des mexikanischen "Café Especial" am Markt, sagt wie viele seiner Kollegen in der Nachbarschaft, dass ohne die Franzosen an manchen Tagen wenig los wäre.

Das liegt daran, dass man in Frankreich zwar immer noch essen kann wie ein Gott - aber dafür viel Geld hinblättern muss, erklärt der Bierbrauer Thomas Bruch. In Frankreich sei eine Kluft entstanden zwischen dem guten, aber sehr teuren und dem billigen, aber nur schwer genießbaren Essen. Nach Wirten, die bodenständige, nicht nur in der Mikrowelle aufgewärmte Speisen zu vernünftigen Preisen auf den Tisch bringen, suche man in Frankreich immer erfolgloser, sagt Thomas Bruch. Also nutzen die Franzosen die Nähe zu Saarbrücken. Gott wechselt sozusagen die Seite. Hätte Gott das schon früher getan, und hätte mein Mathematiklehrer uns nicht über die Grenze, sondern in die Saarbrücker Wirtschaften geschickt, dann hätte ich heute vielleicht geschrieben: Mein Mathematiklehrer war mein Freund.

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