Wann wir gähnen, entscheiden unsere Gene

Mit dem ersten Hahnenschrei aus den Federn und dafür zeitig ins Bett - für ein Sechstel der Deutschen wäre ein solcher Tagesablauf ein Traum. Das sind die "Lerchen", Menschen, die gern früh aufstehen und in den Morgenstunden sehr leistungsfähig sind. Für ein weiteres Sechstel ist dieses Szenario ein Alptraum

Mit dem ersten Hahnenschrei aus den Federn und dafür zeitig ins Bett - für ein Sechstel der Deutschen wäre ein solcher Tagesablauf ein Traum. Das sind die "Lerchen", Menschen, die gern früh aufstehen und in den Morgenstunden sehr leistungsfähig sind. Für ein weiteres Sechstel ist dieses Szenario ein Alptraum. Dies sind die "Eulen", die Abend- oder Spättypen, die gern länger schlafen, später ins Bett gehen und sich zu nächtlicher Stunde noch gut konzentrieren können. Chronobiologen versuchen, hinter das Rätsel dieser unterschiedlichen Tagesrhythmen zu kommen. Etwa acht Prozent der Bevölkerung gehören jeweils zu den extremen Früh- oder Spättypen, jeweils weitere acht Prozent zu den moderaten Früh- oder Spätaufstehern. Die meisten Menschen werden dem Normaltyp zugerechnet. Er kann sich wechselnden Bedingungen gut anpassen, zum Beispiel im Schichtdienst. Unser Chronotyp, so der medizinische Fachausdruck, ist genetisch festgelegt. Menschen, die zum Frühtyp gehören, werden nicht aus eigenem Willen zu Eulen und umgekehrt. Doch ändert sich der Chronotyp im Lauf des Lebens. Während der Tagesrhythmus bei Neugeborenen noch nicht ausgereift ist, sind Babys und Kleinkinder in der Regel Lerchen. Mit Eintritt in die Pubertät werden Jugendliche meist zu extremen Eulen, die abends nicht einschlafen können und morgens Konzentrationsprobleme haben. "Mit dem Alter wandeln wir uns langsam wieder zu Lerchen", sagt Professor Christian Cajochen vom Zentrum für Chronobiologie an der Uni Basel. Unsere innere Uhr ermöglicht dem Körper, sich auf ständig wiederkehrende Ereignisse vorzubereiten, so der Chronopharmakologe Professor Björn Lemmer von der Uni Heidelberg. Deshalb steigen morgens vor dem Aufstehen Körpertemperatur, Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz - der physiologische Countdown für den Start in den Tag. Was das bedeutet, weiß jeder, der schon einmal mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wurde, etwa, weil das Telefon klingelte. Schlaftrunken reagiert man wie in Zeitlupe, weil sich der Körper physiologisch noch in der Schlafphase befindet und der Kreislauf Zeit benötigt, bis er voll funktionsfähig ist. Unsere innere Uhr verlagert solche zeitraubenden Anlaufprozesse in die Schlafphase.

Praktisch jedes biologische System unseres Körpers schwingt zwischen Aktivität und Ruhe und ermöglicht uns dadurch flexiblere Anpassungen an wechselnde Umweltbedingungen wie die Jahreszeiten. Egal, ob Bakterium, Pflanze, Maus oder Mensch: Alle Lebewesen haben ihren inneren Rhythmus. Forscher kennen allein beim Menschen bereits über zwei Dutzend Gene, die nur zu bestimmten Tageszeiten aktiv sind - sogenannte Uhrengene.

Selbst unter völlig abgeschotteten Bedingungen, in einem Bunker ohne Tageslicht, behält der Mensch seinen Rhythmus bei. Das zeigen Aktivitäts- und Schlafmuster, aber auch Blutdruck und Herzfrequenz. Weil der Rhythmus unter experimentellen Bedingungen 24 Stunden entspricht, nennt man ihn circadian - von lateinischen "circa" für ungefähr und "dies" für Tag.

Die molekulare Uhr des Menschen tickt in einem kleinen Kern, der im Kopf oberhalb der Überkreuzung der Sehnerven liegt, dem Suprachiasmatischen Nukleus, kurz SCN. Er erhält Signale von der Netzhaut und leitet sie an die Zirbeldrüse weiter, die das Schlafhormon Melatonin bildet. Darüber hinaus haben die rund 20 000 Zellen des Nukleus einen eigenen Rhythmus. Etwa alle 24 Stunden wird in diesem Bereich ein spontanes Signal ausgelöst. Für die Eichung der inneren Uhr ist vor allem Licht verantwortlich: Es verhindert die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin, hält also wach. Doch auch Lärm und Aktivitäten verstellen die innere Uhr. Das gilt vor allem für Blinde und Menschen, die sich meist in Gebäuden aufhalten. Tageslicht ist der stärkste Taktgeber unserer inneren Uhr. Das Licht in Gebäuden reicht dagegen nicht. Laut dem Münchner Chronobiologen Till Roenneberg sind die meisten Bürogebäude zu dunkel.

Wer Probleme mit seinem inneren Rhythmus hat, kann ihn in gewissen Grenzen beeinflussen. Die beste Strategie ist Sonnenlicht. Morgenlicht justiert die innere Uhr vor. Wer sich spät abends lange in sehr hellen Räumen oder vor einem LED-Bildschirm aufhält, stellt seine innere Uhr nach. Auch ein Spaziergang unter freiem Himmel stimuliert die Photorezeptoren im Auge. Sonnenbrillen sind dabei allerdings tabu. Wer abends länger wach bleiben möchte, sollte zum Beispiel um 16 Uhr eine Stunde im Freien spazieren. Wer dagegen früher ins Bett möchte - etwa, weil er am nächsten Morgen zum Frühdienst antreten muss - sollte die helle Sonne ab dem Nachmittag meiden und gegebenenfalls die Augen mit einer Sonnenbrille schützen. Wer morgens Probleme hat, wach zu werden, sollte es sich angewöhnen, morgens früh eine Stunde im Freien zu verbringen, denn der Stoffwechsel gewöhnt sich an die regelmäßigen Lichtreize und taktet die innere Uhr entsprechend um. Wer jetzt wissen möchte, welcher Chronotyp er ist, kann den folgenden Internet-Test der Universität Basel absolvieren:

chronobiology.ch/

chronotypBerechnen.html

"Mit dem Alter wandeln wir uns langsam wieder zu Lerchen."

Professor

Christian Cajochen

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