Von der Blutwäsche zur tragbaren Niere

Im vergangenen Jahr erhielten 4326 Patienten in deutschen Krankenhäusern ein neues Organ. Das war ein Rekord, meldet die Stiftung Organtransplantation. Und doch nicht gut genug. Obwohl die Zahl der Organspenden um ein Zehntel im Vergleich zum Vorjahr wuchs, kommen auf jeden operierten Patienten zwei Kranke auf der Warteliste

Im vergangenen Jahr erhielten 4326 Patienten in deutschen Krankenhäusern ein neues Organ. Das war ein Rekord, meldet die Stiftung Organtransplantation. Und doch nicht gut genug. Obwohl die Zahl der Organspenden um ein Zehntel im Vergleich zum Vorjahr wuchs, kommen auf jeden operierten Patienten zwei Kranke auf der Warteliste. Die Medizin versucht, mit neuen Techniken Wartezeiten zu überbrücken und echten Ersatz für zerstörtes Gewebe zu entwickeln.Der bekannteste Organersatz ist die Blutwäsche an der künstlichen Niere. Heutzutage sind weltweit eine Million Menschen darauf angewiesen, in Deutschland gibt es 60 000 Dialysepatienten. An drei Tagen in der Woche müssen sie für einige Stunden ins Dialysezentrum (von griechisch "dialysis" für "Auflösung"). Das Herzstück der Dialyseapparate sind selektiv durchlässige Membranen, durch die kleine Moleküle wie Harnstoff aus dem Blut entfernt werden. Dazu gibt es eine wenig bekannte Alternative: die sogenannte Bauchfell- oder Peritonealdialyse. Sie nutzt das hervorragend durchblutete Bauchfell des Körpers als natürliche Dialyse-Membran. Zunächst erwärmt der Patient etwa zwei Liter sterile Dialyseflüssigkeit in einem speziellen Heizgerät auf 38 Grad Celsius, bevor er sich die Flüssigkeit über einen dauerhaft am Bauch angebrachten Katheter in den Bauchraum füllt. Dort bleibt die Flüssigkeit bis zu acht Stunden, bevor der Patient sie wieder abfließen lässt. Die Prozedur muss mehrmals am Tag erfolgen. Möglich ist auch der Einsatz über Nacht. In Deutschland nutzen nur wenig mehr als fünf Prozent der Patienten die Bauchfelldialyse, die auch zu Hause angewandt werden kann. Hauptrisiko dieses Verfahrens ist eine Infektion durch den Katheter, aus der sich dann eine lebensgefährliche Bauchfellentzündung entwickeln kann. Hygiene ist daher das oberste Gebot.

Die Bauchfelldialyse wird meist eingesetzt, wenn die Nieren eines Patienten geschwächt sind und Unterstützung brauchen. In der Regel kann die Bauchfelldialyse Nierenkranken aber nur einige Jahre helfen, weil ihre geschädigten Organe ihre Funktion meist nach und nach komplett verlieren. Dann empfehlen Nierenspezialisten die aufwändigere Blutwäsche.

Der Fresenius-Konzern will binnen eines Jahrzehnts eine tragbare Niere auf den Markt bringen, die das Prinzip der Bauchfelldialyse nutzt, aber mit einer permanenten Blutwäsche arbeitet. Eine Pumpe leitet von einem Bauchgürtel mit Dialysebehältern etwa drei Liter Flüssigkeit in die Bauchhöhle und wieder zurück zu Reinigungskartuschen, wo die Flüssigkeit aufbereitet wird, um erneut in die Bauchhöhle gepumpt zu werden.

"Wir müssen weder Kanülen in die Blutbahn einführen noch das Blut zum Reinigen aus dem Körper pumpen. Für den Patienten ist die Behandlung damit relativ sanft", sagt Norma Ofsthun, stellvertretende Leiterin der Forschung von Fresenius Medical Care. Darüber hinaus enthält die Dialyseflüssigkeit eine osmotisch aktive Substanz, zum Beispiel Glukose, um überschüssiges Wasser aus dem Blut zu entfernen. "Man kann den Wasserverbrauch stark reduzieren, indem man das Dialysat regeneriert, also die ausgewaschenen Stoffe herausfiltert und es erneut verwendet", erläutert Professor Dr. Daniel Schnedlitz vom Institut für Physiologie an der Medizinischen Universität Graz. Dazu dienen Stoffe wie Aktivkohle und spezielle Zirkoniumverbindungen, aber auch Nanopartikel und Membranen mit speziellen Poren, die wie molekulare Siebe wirken. Die genauen Rezepturen seien jedoch geheim, so der Grazer Experte.

"Für den Patienten ist die Behandlung damit relativ sanft."

Norma Ofsthun, Fresenius

Medical Care

Hintergrund

Das Ersatzteillager der Medizin für menschliche Organe ist mittlerweile gut sortiert. Eine Übersicht:

Das Herz kann als Ganzes ersetzt werden oder aber eine Ergänzungspumpe zur Unterstützung erhalten (Grafik: Micromed). Während ein vollständiges Kunstherz als Überbrückung bis zu einer Transplantation dient, können die Zusatzpumpen über Jahre hinweg das eigene Herz entlasten.

Die "Eiserne Lunge" war das erste künstliche Beatmungsgerät. Moderne Geräte pumpen mechanisch ein Sauerstoff-Luft-Gemisch in die Lunge. Alternativ kann auf der Intensivstation ein "Extrakorporaler Membranoxygenator" zum Einsatz kommen, bei dem Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert wird. Herz-Lungen-Maschinen übernehmen die Funktion von Herz und Lunge vor allem während Operationen am Herzen oder an der Lunge. Es gibt auch miniaturisierte Geräte für Operationen an Frühgeborenen.

Wenn die Leber versagt, kann eine Blutwäsche Entgiftungsfunktionen des Organs übernehmen. Sie eignet sich jedoch nur für einen kurzen Einsatz von maximal 14 Tagen.

Die Bauchspeicheldrüse bildet das Zuckerhormon Insulin. Neben Injektionen können Typ-1-Diabetiker das fehlende Hormon auch über eine Insulin-Pumpe erhalten.

Dreimal pro Woche Blutwäsche im Dialysezentrum ist für Nierenkranke Pflicht. Alternativ können sie auch eine sogenannte Bauchfell-Dialyse zu Hause durchführen. Tragbare künstliche Nieren, die auf demselben Mechanismus beruhen, sollen innerhalb der nächsten zehn Jahre auf den Markt kommen. Etwa zehn Prozent aller Dialyse-Patienten weltweit nutzen die Bauchfell-Dialyse.

Arbeitet der Schließmuskel am Magenausgang nicht korrekt, kann ein Magenschrittmacher helfen: Dann sorgen implantierte Elektroden für eine regelmäßige Entleerung des Mageninhalts in den Darm.

Nach Krebserkrankungen kann es notwendig werden, dass Ärzte die Blase entfernen. Ein deutsches Forscherteam arbeitet an einer künstlichen Blase, die als Harnreservoir dient und auf Knopfdruck entleert werden kann. In der Entwicklung ist auch ein künstlicher Blasenschließmuskel, der bei Inkontinenz eingesetzt werden soll.

Bestimmte Krankheiten des Nervensystems wie Parkinson lassen sich durch elektrische Schrittmacher im Gehirn lindern. Dazu implantieren Neurochirurgen Elektroden in bestimmte Gehirnregionen, die dann mit schwachen elektrischen Strömen gereizt werden. bid

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