Vom irren Frauenarzt bis zum erschöpften Insolvenzverwalter

Auf Seite sechs war mir klar, dass Hans Gerhard vor nichts zurückschreckt. Nicht, weil auf Seite sechs wieder mal klar wurde, dass Literatur eine schaurige Sache ist. Nein, das wusste ich schon, bevor ich Hans Gerhards Buch "alles was wir brauchen" aufgeschlagen habe. Das hier war schauriger als alles, was ich bisher gelesen habe: Der Mann hat mich da mit reingezogen

Auf Seite sechs war mir klar, dass Hans Gerhard vor nichts zurückschreckt. Nicht, weil auf Seite sechs wieder mal klar wurde, dass Literatur eine schaurige Sache ist. Nein, das wusste ich schon, bevor ich Hans Gerhards Buch "alles was wir brauchen" aufgeschlagen habe. Das hier war schauriger als alles, was ich bisher gelesen habe: Der Mann hat mich da mit reingezogen. Auf Seite sechs unten und auf Seite sieben oben bin ich mir selbst begegnet.

24 Geschichten von Hans Gerhard, der 2010 den Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis bekommen hat und im selben Jahr Stadtteilautor fürs Nauwieser Viertel wurde, hat der Saarbrücker PoCul in das Buch gepackt. Es ist unglaublich, was auf 274 Seiten alles passieren kann. Da wird behauptet: "Die Kommune muss töten." Da macht sich ein Student aus Deutschland zum Holländer, um eine hübsche Jüdin rumzukriegen. Da macht ein desillusionierter Insolvenzverwalter ein Kind zum Partner und überlässt ihm eine alte Registrierkasse. Da tötet ein Frauenarzt im Wahn einen Stör. Da gibt es ein Blind-Date mit einem Mönch. Da wird verraten, "wie man den Wert der Kunst steigern kann und am Ende steinreich wird". Da gibt es Eis mit der Oma, Kunst und Krempel, eine Strunzprobe und ein Abtauchen ins Nauwieser Viertel, das Hans Gerhard im richtigen Leben inzwischen verlassen hat. Und was da sonst noch alles passiert - einfach Wahnsinn.

Gleich in der ersten Geschichte aber, in der es um einen russischen Zwangsarbeiter geht, trifft mich der Erzähler auf einer Pressekonferenz, die es nie gegeben hat.

Das liest sich so: "Er heißt Rolshausen oder Rolshagen oder so ähnlich, ich bin mir nie sicher, und wenn ich ihn in der Stadt treffe, ist es mir peinlich, und ich renne schnurstracks mit gesenktem Schädel an ihm vorbei, was natürlich superpeinlich ist, zumal er wahrscheinlich der einzige in der ganzen SZ ist, der schon mal was Nettes über mich geschrieben hat, die anderen haben mich längst durchschaut."

Jetzt habe ich ihn durchschaut. Aber es fällt mir schwer, etwas anderes zu schreiben, als dass das Buch eine Wucht ist - wenn man über Seite sieben raus ist.

Sie wollen dem Autor Ihre Meinung schreiben, dann mailen Sie an m.rolshausen@sz-sb.de. Das Buch "alles was wir brauchen" von Hans Gerhard gibt es im Buchhandel für 14 Euro.

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