Kinderarmut Nicht zum Kinderarzt, weil das Fahrgeld fehlt

Eppelborn · Experten suchen bei Tagung in Eppelborn nach Lösungen für die optimale Versorgung von Kindern aus armen Familien.

 (Symbolbild)

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Foto: dpa/Marcel Kusch

Infektionen, Asthma, Diabetes, Übergewicht, Depressionen: Arme Kinder sind nach Erfahrungen von Medizinern häufiger krank. Nicht nur wenig Geld, sondern auch der niedrige Bildungsstand der Eltern spiele dabei eine entscheidende Rolle.

Darüber, wie das Problem durch die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Psychologen, Gesundheits-, Jugend- und Sozialämtern im Alltag besser in den Griff zu bekommen ist, berieten Sozialarbeiter gestern bei einer Fachtagung unter dem Titel „Das Kindergesicht von Armut – Gesundheitsförderung bei sozialer Benachteiligung“. Zu der Tagung in Eppelborn eingeladen hatte der Arbeitskreis Kindergesundheit des Landkreises Neunkirchen.

In Deutschland gilt nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung jedes fünfte Kind als arm, im Saarland sogar jedes vierte. Jens Möller, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Saarbrücken, berichtete aus der Praxis. Sowohl ökonomische Nachteile als auch ein niedriger Bildungsstand seien oft das Problem. So würden Eltern ihre Kinder nicht zu Terminen bringen, weil ihnen das Fahrgeld fehle. Andere wüssten schlicht nicht, dass das Herz Blut pumpe oder das Gehirn etwas mit Denken zu tun habe.

Vielfach scheine die Organisation des Lebensalltags für solche Eltern mit einem chronisch-kranken Kind so unlösbar, dass trotz eines guten Sozialversicherungsangebots das medizinische System schlechter genutzt werde, sagte der Kinderarzt. Wichtig sei gerade für Kinder aus armen Verhältnissen ein sogenanntes Case-Management, das verschiedene medizinische, psychologische und pädagogische Aspekte integriere.

Der Neunkircher Landrat Sören Meng (SPD) betonte, es sei wichtig, dass Gesundheits-, Sozial- und Jugendhilfe ineinandergriffen. Ihn mache „betroffen, dass das System ganz, ganz viel Geld habe, aber dieses nicht richtig verteilt ist“. Insbesondere seien viele Eltern mit der komplizierten Antragstellung an den unterschiedlichsten Stellen für solche Leistungen überfordert. Diese müsse vereinfacht werden.

Derzeit sind seinen Angaben zufolge im Landkreis Neunkirchen, der nach dem Regionalverband Saarbrücken mit 27,1 Prozent die zweithöchste Armutsquote von Kindern unter drei Jahren aufweist, rund 3500 Kinder im Leistungsbezug.

Der Kinder- und Jugendpsychologe Frank W. Paulus von der Uniklinik in Homburg berichtete, das Einstiegsalter in die Internet-Spielsucht sinke immer weiter. Die Weichenstellung erfolge oft schon im Vorschul- und Kleinkindalter zwischen zwei und fünf Jahren. Computerspiele könnten heutzutage nicht mehr nur über die Tastatur, sondern auch per Touchscreen, Körperbewegungen oder Spracheingabe, also „kinderleicht“, gespielt werden.

Zudem gehörten immer mehr Eltern der ersten „Digital Generation“ an, die selber auch im Beisein ihrer kleinen Kinder selbstverständlich mit den elektronischen Medien umgingen. Nach von ihm ausgewerteten repräsentativen Studien sind weltweit 1,5 bis 2 Prozent aller Kinder und Jugendlichen vom Computer oder Internet abhängig. Neben dem vielfältig Positiven, die das Anwenden dieser modernen technischen Geräte mit sich bringe, könnten sich gefährliche Wirkungen gerade auf Kinder und Jugendliche entfalten, wenn diese nicht mehr in ihrer realen Welt lebten, etwa nicht mehr zur Schule gingen, diese oder auch andere Freizeitaktivitäten vernachlässigten.

 Professor Jens Möller, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken

Professor Jens Möller, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken

Foto: Stephanie Schwarz
 Frank W. Paulus, Leitender Psychologe am Uniklinikum des Saarlandes

Frank W. Paulus, Leitender Psychologe am Uniklinikum des Saarlandes

Foto: Joerg Fischer

Das exzessive Benutzen von Computer, Tablet oder Handy könne psychische Störungen auslösen, diese noch verstärken oder es könne sich eine Computer- und Internetabhängigkeit entwickeln.

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