Palliativmedizin „Ummantelt“ und versorgt bis zum Schluss

Saarlouis · Die erste Palliativstation des Saarlandes feiert am Samstag 25-jähriges Bestehen. Unheilbar Kranke erhalten hier neue Lebensqualität.

 Stephan Kremers, Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin, im Gespräch mit Carmelo Capizzi.

Stephan Kremers, Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin, im Gespräch mit Carmelo Capizzi.

Foto: Katja Sponholz

Unter dem Motto „Sorgende Begleitung“ feiert das Marienhaus-Klinikum Saarlouis-Dillingen am Samstag „25 Jahre plus“ der Palliative Care im Saarland. Im Februar 1992 war die erste Palliativ-Station – damals noch mit fünf Betten am St. Michael Krankenhaus in Völklingen – gegründet worden. Nicht nur als erste im Saarland, sondern auch als eine der ersten in Deutschland. Heute verfügt sie in Saarlouis über zwölf Betten.

Die Idee von Schwester Basina Kloos löste seinerzeit alles andere als Begeisterung unter den Chefärzten aus. Denn was die frühere Generaloberin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen damals anregte, war auf der Landkarte der medizinischen Versorgung nahezu ein weißer Fleck. „Wir wollten das Krankenhaus nach vorne bringen, etwas Neues für die Zukunft schaffen“, erinnert sich Dr. Dietrich Wördehoff (74), ehemaliger Chefarzt der Station. „Aber wir mussten uns mit dem Thema ‚Palliativ‘ erst einmal vertraut machen, da es kaum etwas in dieser Richtung gab.“ Lediglich in Bonn und Köln existierten derartige Stationen für Menschen mit schweren Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium. „Sonst herrschte praktisch Leere in Deutschland“, sagt Wördehoff.

Doch die Herausforderung reizte ihn und seine Mitstreiter. So gelang es sogar, die erste Palliativstation des Saarlandes als bundesweites Modellprojekt nach Völklingen zu ziehen. Und es war auch die Idee, die sie überzeugt hatte, diesen neuen Weg zu gehen – jenseits von der kurativen Medizin, die es sich zur Aufgabe setzt, Menschen wieder gesund zu machen. „Das Ziel, Patienten, die unheilbar krank sind, eine neue Lebensqualität zu geben, sie palliativ, also ‚ummantelt‘ oder ‚umsorgend‘ zu begleiten, hat uns fasziniert“, gibt der 74-Jährige zu. „Dass man eben nicht mehr die Grundkrankheit behandelt, nicht mehr die Herzinsuffizienz oder den Krebs, sondern dass es allein um die Beschwerden des Patienten geht.“ Und darum, ihm in den letzten Wochen oder Monaten seines Lebens so viel wie möglich davon zu ersparen. Statt Operationen oder Chemo-Therapien, bei denen die Ärzte keine guten Chancen mehr sehen, bekommen die Patienten etwa eine neue Schmerztherapie. „Wir nehmen ihnen die Atemnot und die Unruhe, begleiten sie und sprechen mit ihnen“, sagt der Palliativmediziner, „denn entscheidender als Medikamente und Intervention ist bei uns die Kommunikation. Das ist das wichtigste Therapieinstrument.“ Deshalb gibt es auf der Station – neben speziell ausgebildeten Pflegekräften, Physio- und Musiktherapeuten – nicht nur einen Psychologen, sondern auch einen Seelsorger. Klaus Aurnhammer (57), Diplom-Theologe und Krankenpfleger, ist ebenfalls seit der ersten Stunde dabei. Nach wie vor ist er überrascht, welche Rückmeldungen es immer wieder von Patienten gibt: „Viele sagen, dass sie noch nie erlebt haben, so ernstgenommen zu werden“, sagt er. „Sie sagen mir: ‚Wenn eine Schwester mich fragt, wie es mir geht, dann habe ich wirklich das Gefühl, dass es ernst gemeint ist, dass sie wirklich mich meint!“

Gleichzeitig hat Aurnhammer erfahren, welchen Stellenwert die Angehörigen einnehmen: „Das haben wir am Anfang unterschätzt, wie wichtig deren Einbeziehung in Pflege und Kommunikation ist.“

Aber nicht alle wissen die Verlegung auf eine Palliativstation gleich zu schätzen. Viele von ihnen sind zunächst erschrocken, sehen diese Abteilung eher als „Sterbestation“ an, haben das Gefühl, „ab jetzt tut man nichts mehr für mich“. Dabei geht es im Gegenteil darum, ihre Situation zu erleichtern, ihnen noch eine gute – wenn auch begrenzte – Lebenszeit und die Rückkehr nach Hause oder in ein Hospiz zu ermöglichen. „Viele Patienten und auch Angehörige kommen aber zunächst mit Vorurteilen, mit Sorgen und Ängsten“, sagt Aurnhammer, „bis sie durch die Therapie und Gespräche merken: Was hier passiert, ist erstaunlich wohltuend.“ Weil nicht die Diagnose im Vordergrund stehe, sondern die Frage: Was beklagen Sie? Und weil es viele Menschen gibt, die Zeit haben für sie.

Möglich ist dies, weil es hier einen anderen Personalschlüssel als in anderen Stationen gibt. „Das ist auch dringend notwendig“, sagt Dr. Stephan Kremers (50), Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin und Radioonkologie. Denn hier werde eine „sprechende Medizin“ betrieben. Eine Pflegekraft kümmert sich um drei bis vier Patienten auf der Station, die 2009 von Völklingen nach Saarlouis umgezogen ist und dort mittlerweile zwölf Betten zur Verfügung hat. Manche Patienten – die meisten sind Krebskranke – kenne man schon viele Jahre und habe ein intensives Verhältnis zu ihnen entwickelt. Oft kommen Angehörige manchmal noch Wochen nach dem Todesfall, um sich zu bedanken. „Daraus zieht man ganz viel“, sagt er, „weil man dann weiß, dass sich die Menschen hier gut aufgehoben gefühlt haben. Und darum geht es.“

Für die Zukunft hat Kremers vor allem einen Wunsch: „Dass sich die Bevölkerung öffnet und eine Palliativstation nicht mit einem ganz bald nahenden Tod in Verbindung bringt, sondern damit, dass man Patienten hier hilft, ihre Symptome zu lindern.“

 Diplom-Theologe und Krankenpfleger Klaus  Aurnhammer

Diplom-Theologe und Krankenpfleger Klaus Aurnhammer

Foto: Katja Sponholz
           Ex-Chefarzt Dietrich Wördehoff.

Ex-Chefarzt Dietrich Wördehoff.

Foto: BeckerBredel

Und manchmal auch, ungewöhnliche Wünsche zu erfüllen. Wördehoff erinnert sich an ein Paar, das direkt auf der Station geheiratet hat. Oder an eine Patientin mit schwerem Lungenkrebs, die noch einmal nach Moskau fahren wollte. „Alle haben gesagt, das sei unmöglich“, erzählt er, „aber wir haben das organisiert.“ Gestorben sei die Frau erst Wochen später. Erleichtert und zufrieden.

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