Leitartikel Trier macht bei Marx vieles richtig – das Saarland nicht

Wo gibt‘s denn sowas? Da ist ein Wissenschaftler gescheitert – und bleibt doch Sieger. Das löwenhäutige Bild des deutschen Denkers Karl Marx (1818-1883), es taugt von China bis Venezuela als Souvenir-Weltikone – obwohl seine These vom Untergang des Kapitalismus historisch widerlegt ist. Doch seine Utopie von der Aufhebung sozialer Ungerechtigkeit, sie ist eben urmenschlich – und universal verständlich. Und also ist Marx ein äußerst populärer Mann, ist eine Art Popstar der Geschichte.

Am heutigen Samstag jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal und seine Heimatstadt macht ihn zu einem Superhelden der Stadtgeschichte, lässt sich von China sogar eine Monumentalstatue schenken. Dabei zählen zum Marx’schen Erbe die millionenfache Gräber in Diktaturen, die seine Lehre zur Staatsreligion machten. Nein, eine Hurrafigur ist Marx nicht. So gesehen dürfte man in Trier, das an diesem Wochenende in einen Ausstellungs- und Veranstaltungsmarathon zu Marx startet, kein Bürgerfest ihm zu Ehren feiern. Doch das wäre ganz falsch. Man darf Marx zur Touristen-Attraktion machen – wenn man es denn richtig macht. Und die Trierer haben bereits zweimal bewiesen, dass sie den seriös-differenzierten Umgang mit historischen Berühmtheiten drauf haben, bei der „Konstantin“- (2007) wie auch bei der „Nero“-Großausstellung (2016). Die museale und wissenschaftliche Aufarbeitung war in beiden Fällen vom Allerfeinsten, zugleich schaffte Trier damit die Profilierung als maßgebliche Antikenstadt. Auch mit Marx will man rund 300 000 Gäste zusätzlich anziehen, erwartet wird eine Wertschöpfung von bis zu zehn Millionen Euro.

 Aber unabhängig vom reinen Mammon soll das Trierer Marx-Jahr mehr leisten, eine Image-Verjüngung anschieben. Trier soll nicht mehr nur für „alte“ Stadtgeschichte stehen, sondern als Kulturereignis-Ort auf der touristische Landkarte erscheinen. Das ist clever gedacht, zudem ergibt sich ein bildungspolitischer Mehrwert: Marx reloaded, wenn man so will. Denn nach der Niederlage des Kommunismus 1989 wurde Marx zu einer Schattengestalt im öffentlichen Bewusstsein. Selbst in der Finanzkrise blieb seine Strahlkraft flau. Hier füllt Trier eine Lücke.

Leider nur Trier. Das Saarland hat es nicht geschafft, sich in die Feirlichkeiten einzuklinken. Das ist mehr als ärgerlich, es ist ein kulturpolitisches Versagen erster Güte. Bekanntlich hat Marx in Saarlouis familiäre Wurzeln, und seine Geliebte und Haushälterin Lenchen Demuth stammte aus St. Wendel. Außerdem steht das bundesweit berühmteste Denkmal der von Marx beschriebenen proletarischen Epoche in Völklingen: das Welkulturerbe, die Hütte. Wie gut hätte man hierzulande ergänzende Ausstellungen konzipieren und Hotelgäste anlocken können. Doch die saarländischen Kulturinstitutionen, die Bürgermeister und der Kulturminister haben diese fulminante Chance vergeigt, ein Thema endlich einmal großregional zu spielen. Für die Bürger ist das traurig. Für die Abteilungen in Ministerien, die Großregionales in Gang setzen sollen, ein Armutszeugnis.

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