Tourismus im Saarland „Erlebnisse sind die neuen Statussymbole“

Völklingen · Industriekultur ist touristisch auf Wachstumskurs, so die Botschaft eines Experten-Vortrags in der Völklinger Hütte. Aber es kann auch zu viele Standorte geben.

 Etliche frühere Bergbau-Standorte, hier die Grube Itzenplitz, warten noch auf ihre Erschließung.

Etliche frühere Bergbau-Standorte, hier die Grube Itzenplitz, warten noch auf ihre Erschließung.

Foto: Thomas Reinhardt

  Dem nicht anwesenden Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte müssten am Dienstagabend die Ohren geklingelt haben, als Christiane Baum, Generalsekretärin der Vereinigung „Europäische Route der Industriekultur“  (ERIH), zum Vortrag in der Gebläsehalle antrat. Denn ihre  Ausführungen zu „Industriekultur und Tourismus“ deckten sich bis zu gefühlten 100 Prozent mit dem, was Meinrad Maria Grewenig seit Jahren wie ein Prophet zu Markte trägt: Nun denn, er ist ERIH-Präsident  und sagt, wie Baum: Die Industriekultur birgt Wachstumspotenzial. Die Industriekultur lässt sich zu attraktiven touristischen  Produkten formen. Die Industriekultur bringt Wertschöpfung. Im Falle der Völklinger Hütte hat Grewenig die regionalwirtschaftlichen Effekte 2014 ermitteln lassen. 11,9 Millionen Euro Nettowertschöpfung und 393 Arbeitsplätze stehen auf der Habenseite. Bei der  „Route Industriekultur Ruhr“ betrug der Gesamtbruttoumsatz im vergangenen Jahr 285 Millionen Euro, das erfuhr man jetzt von Baum. Der Untertitel ihres Referates behauptete denn auch, die Verbindung zwischen Industriekultur und Tourismus sei „eine europäische Erfolgsgeschichte“.

Die ERIH-Generalsekretärin trat den Beweis dafür an, mit Fakten. Sie skizzierte das dynamische Wachstum des ERIH-Netzwerkes. Vor zehn Jahren startete man mit 17 Mitgliedern, heute heute arbeiten 298 Institutionen aus 28 Ländern zusammen, ermöglichen, dass rund 1750 Standorte öffentlich zugänglich sind, und sich ein Wahrnehmungswandel vollzogen hat.  Machten einst Touristiker einen Bogen um den stark erklärungsbedürftigen Begriff Industriekultur, ist er heute ein akzeptiertes Label.

 Baum wartete auch mit erfreulichen Zahlen des ERIH-Barometers auf, hielt jedoch fest:  Die Aufgabe hier zu Lande sei „deutlich schwerer“ als im Ruhrgebiet. Denn diese Region verfüge über einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil - über fünf Millionen Menschen, die als Tagesbesucher und Ausflügler ansprechbar seien. Diese Gruppen stellen laut Baum an industriekulturellen Orten das Hauptkundensegment. 60 Prozent der Industrie-Kultur-Besucher kommen aus den jeweiligen Regionen, 90 Prozent sind Familien, und fast genau so viele „Best Ager“ (Alter: 50 plus). Doch den Reiseanlass bietet in den wenigsten Fällen die Industriekultur pur: „Altes Eisen reicht nicht“, so Baum. Nur wer „Events“ schaffe, habe touristisch die Nase vorn:  Denn der Reisende beurteile immer weniger den Urlaubsort selbst als das, was er dort erfahre: „Erlebnisse sind die neuen Statussymbole“, zitierte Baum einen Top-Trend. Außerdem schätzten  die Kunden Authentizität und das „Storytelling“, das sich mit einem Ort verbinden lasse. Für beides sei die Industriekultur „prädestiniert“, so Baum. Sie hält es zudem für legitim, Industriekultur als Kulisse zu nutzen. Wer als Radler an einer alten Fabrik halte, weil es dort eine nette Einkehrmöglichkeit gebe, hänge oft auch eine Besichtigung an.

 Viele ERIH-Mitglieder nutzen all diese Erkenntnisse schon. 21 Prozent der Standorte – darunter auch das Weltkulturerbe – zählen zwischen 100 000 und 500 000 Besucher pro Jahr.  Das hat auch Auswirkungen auf die Anzahl der (Vollzeit-)Arbeitsplätze. 16 Prozent beschäftigen jetzt schon zwischen 21 und 50 Mitarbeiter. Auch machen bei jeder zweiten Institution die Einnahmen aus Tickets und Führungen schon etwa 50 Prozent des Budgets aus. Allerdings ist auch jede fünfte Institution bis zu über 80 Prozent von öffentlichen Geldern abhängig. 

Wie lässt sich all dies fürs Saarland fruchtbar machen? Baums aufs Grundsätzliche gerichteter Vortrag ging dieser Frage nicht nach. Sie war im Rahmen der Ringvorlesung „Industriekultur – quo vadis?“ zu Gast, die Teil des neuen Kulturmanagement-Zertifikates Industriekultur an der Saarbrücker Universität ist. Aber in der Publikums-Runde lieferte Baum Denk-Anstöße für das Saarland nach. Sie warnte etwa davor, „in der Fläche“ viele ähnliche Denkmäler einer touristischen Nutzung zuzuführen. Austauschbare Standorte führten dazu, dass man sich gegenseitig Besucher streitig mache. Vielmehr seien ergänzende, originelle  Angebote ein Erfolgsweg wie auch das Sich-Gegenseitig-Bewerben, das dann funktioniere, wenn es andernorts Anderes zu entdecken gebe.

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