Tanzen als Zeichen des Friedens

Spichern · Wo vor 140 Jahren deutsche und französische Soldaten unerbittlich kämpften, setzen nun jugendliche Tänzer positive Energien frei: Sie führten in Spichern das spannende Tanzstück „Grenzerde“ auf.

 Gefangen in den Wirren des Krieges: Das Tanzstück „Grenzerde“ handelt von Konflikten, aber auch von Freundschaft. Foto: David Mallinowski

Gefangen in den Wirren des Krieges: Das Tanzstück „Grenzerde“ handelt von Konflikten, aber auch von Freundschaft. Foto: David Mallinowski

Foto: David Mallinowski

Kriegsflirren. Man kann den Krieg sogar schmecken. Das Grenzseil ist über einen Schutzhelm gespannt. Wer aus der Reihe tanzt, wird niedergemäht - oder gleich lebendig begraben. Eben spreizte die Tänzerin noch den Bizeps zur Siegerpose. Sekunden später liegt sie bereits unter der Erde.

Zehn Tanzsoldaten, uniformiert in Schwarz oder Weiß, behängen sich mit Eimern voll Staub und Erde. Sie werfen verachtungsvoll händeweise mit Dreck, entleeren den restlichen Inhalt dann vollends über der Tänzerin, die sich mit Atemmaske und Breakdance-Bewegungen noch aufbäumen kann. Momente später wird der Ausreißer völlig unter einem Erdhaufen verschwunden sein. Der Zuschauer schmeckt Erde und Schweiß. Die ewige Kriegskulisse aus den Lautsprechern vervollständigt das Bild aus Kampf und Verwüstung. Wer aus der Reihe tanzt, unterschreibt sein Todesurteil.

Tanzen zur Verständigung, Tanzen zur Friedensstiftung. Und das mit Symbolcharakter, schließlich könnte der Aufführungsort geschichtsträchtiger kaum sein. Wo vor 140 Jahren der deutsch-französische Krieg wütete, setzen die jugendlichen Tänzer positive Energien frei.

50 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrags beschäftigen sich die Teilnehmer des Tanzcamps mit der Vergangenheit ihrer Vaterländer - inhaltlich wie künstlerisch. Zwei Wochen lang haben die 50 Jugendlichen im Tanzcamp an der Grenze Workshops besucht, das Spicherer Kriegsdenkmal besichtigt, ihre Bewegungsabläufe gefestigt. Und dabei Freundschaften geschlossen, was auch auf der Bühne spürbar ist.

Die Choreografen Yeliz Pazar und Eric Hofmann unter der Leitung von Daniela Rodrigez Romero haben ein Tanzstück über Krieg und Gefangenschaft, Folter und Vorurteil, Versöhnung und Freundschaft entwickelt. Ihre Tänzer erzählen in "Grenz erde" eine Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich - und zeigen, dass das Band der Freundschaft an diesem Abend stärker ist als die über die Bühne gespannten rot-weißen Absperrbänder.

Das Motto haben die Künstler in ihrem Programmheft festgehalten: "Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge und bindet den Einzelnen zu Gemeinschaft." Tanzen als Befreiung.

Der Zuschauer hingegen wird vom ersten Takt an gefangen genommen. Szene reiht sich lückenlos an Szene, Schauplatz um Schauplatz haben die Jugendlichen in fesselnde Atmosphäre gehüllt. Wenn zum ersten Mal ein Lächeln auf den Gesichtern zweier Tänzer zu sehen ist, die sich zwischen den Grenzseilen anfreunden. Wenn die Freunde gleich darauf von zwei Armaden auseinandergerissen werden. Wenn Tanzsoldaten zu waberndem Dubstep Thomasflanken schlagen. Wenn Sirenen, Grillensirren und Vogelgezwitscher sich zu einem Klangteppich wie aus dem Dschungel von Vietnam verknüpfen. Wenn zwischen Gewehrsalven Technobeats pulsieren. Wenn die Jugendlichen sich lautstark mit Kriegsparolen befeuern. Wenn die Tänzer Capoeira, Breakdance und Hip-Hop zur Zweikampfchoreografie verbinden. Wenn die Scheinwerfer die Bühne erst in höllisches Rot, dann in klinisches Weiß hüllen. Dann wird Atmosphäre fast greifbar, Geschichte lebendig. Tanzen gegen das Vergessen.

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