ARD-Themenwoche Sichtbare religiöse Symbole sind tabu

Saarbrücken · Der Islam mischt die strenge Trennung zwischen Glauben und Staat in Frankreich auf.

 Der Islam stellt das Neutralitätsprinzip des französischen Staates auf die Probe.

Der Islam stellt das Neutralitätsprinzip des französischen Staates auf die Probe.

Foto: Paul Glaser, alle Rechte/Paul Glaser

Einem Franzosen, der nach Deutschland zieht, wird bereits in den ersten Tagen nach seiner Ankunft bewusst, wie unterschiedlich Religion beiderseits der Grenze betrachtet wird. Spätestens bei der Anmeldung im Einwohnermeldeamt wird er gefragt: „Konfession?“ „Geht Sie gar nichts an“, ist der Franzose geneigt zu antworten. Denn bei unseren Nachbarn herrscht das Prinzip der Laizität, wonach Religion und Staat strikt getrennt sind. Grundlage dafür ist ein Gesetz von 1905. Dieses sieht unter anderem vor, dass Religionsvertreter kein Geld vom Staat bekommen. Frankreich respektiert alle Religionen, erkennt aber keine an. Kreuze in öffentlichen Gebäuden oder Politiker, die sich bei ihrer Vereidigung Gottes­‑hilfe erhoffen, sind dort tabu. Verstärkt wurde dieser Grundsatz 2004 mit einem Gesetz, das Schülern und Lehrern das Tragen sichtbarer religiöser Symbole verbietet: ein kleines Kreuz als Anhänger unter dem Pulli ja, Kopftuch nein. Dass der Gesetzgeber den Umgang mit Religionen in Schulen explizit reglementierte, ist auf die Änderung in der konfessionellen Struktur Frankreichs Ende des vergangenen Jahrhunderts zurückzuführen. Durch verschiedene Einwanderungswellen überwiegend aus den französischsprachigen Maghrebstaaten ab den 1960er Jahren wird der Islam zur zweiten Religion Frankreichs. Platz eins belegt der Katholizismus. In den Schulen hat die konfessionelle Lehre nach wie vor keinen Platz. Religionsunterricht darf nicht mal als Wahlfach angeboten werden, sondern gehört zum Privatleben. Gläubige schicken ihre Kinder dafür in die Kirche oder in die Moschee, meistens Mittwochnachmittags – der einzige Nachmittag, der in Frankreich traditionell schulfrei ist. In einem Land, in dem Berührungspunkte zwischen Glauben und Staat sorgfältig vermieden werden, wurden Schülerinnen, die in den 1990er Jahren mit Kopftuch im Klassenzimmer auftauchten, schnell zum Politikum und gaben den Anlass zu dem neuen Gesetz.

Welche Religion wie viele Anhänger in Frankreich zählt, ist schwer zu sagen. Da die verschiedenen Glaubensrichtungen vom Staat nicht anerkannt werden, führt das staatliche statistische Amt Insee dazu keine Studien. Jemanden öffentlich zu seiner Konfession zu befragen, ist verboten. Lediglich das Zugehörigkeitsgefühl zu einem bestimmten Kulturkreis darf ermittelt werden. Durch die Angaben der religiösen Gemeinden und Umfragen ausländischer Forschungsinstitute lassen sich jedoch Einschätzungen treffen, wonach rund 60 Prozent der Franzosen Christen (überwiegend Katholiken, im Gegensatz zu Deutschland sind Protestanten mit zirka vier Prozent eine Randgruppe) und sieben Prozent Muslime sind.

Der Aufstieg des Islams stellt das in der französischen Verfassung verankerte Neutralitätsprinzip des Staates gegenüber allen Glaubensrichtungen dennoch auf die Probe. Zum Beispiel bei der Frage von Zuschüssen beim Bau von Kultstätten. Die meisten französischen Kirchen wurden vor 1905 und vom Staat erbaut. Der Bedarf an weiteren Moscheen hinsichtlich der Anzahl an Muslimen wird erst seit ein paar Jahrzehnten wahrgenommen und die Frage der Bezuschussung problematisch. Sogar nach dem Tod wird die vollständige Trennung von Kirche und Staat zum Problem. In den städtischen Friedhöfen Frankreichs werden immer mehr Menschen nach muslimischen Vorgaben begraben. Ob und wie groß ein muslimisches Grab auf einem Friedhof sein darf, entscheiden die Kommunen im Einzelfall.

Auch die Beziehung zur eigenen Religion ändert sich momentan jenseits des Rheins. Fast ein Drittel aller Franzose fühlt sich gar keiner Religion zugehörig, Tendenz steigend. Meinungsforscher behaupten, dass die Atheisten im Jahr 2050 in der Mehrheit sein werden. Gläubige hingegen vertreten in den letzten Jahren ihre Überzeugungen lauter als je zuvor. Für gewöhnlich werden religiöse Standpunkte in Frankreich zu Hause oder innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft ausgetauscht. Als der damalige Präsident François Hollande im Herbst 2012 einen Gesetzentwurf für die Homo-Ehe auf den Weg brachte, gingen Millionen Menschen – überwiegend gläubige Katholiken, aber auch Muslime – auf die Straße, um dagegen zu protestieren.

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Foto: SZ/Astrid Mueller
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