Fachtagung zu Gewaltprävention Schulen führen schwierigen Kampf gegen Gewalt

Saarbrücken · Eine Fachtagung befasste sich gestern mit dem Thema Vorbeugung. Dabei wurde eine bessere Ausstattung der Schulen gefordert.

 Welche tiefgreifenden Probleme es an saarländischen Schulen gibt, wurde zuletzt besonders an der Gemeinschaftsschule Bruchwiese deutlich.

Welche tiefgreifenden Probleme es an saarländischen Schulen gibt, wurde zuletzt besonders an der Gemeinschaftsschule Bruchwiese deutlich.

Foto: SZ

„Man kann die Schulen heute nicht mehr ausstatten wie vor 50 Jahren.“ Diesen Satz sagte auf der Fachtagung „Sicherheit macht Schule“ eine Frau, die es wissen muss: Pia Götten, Schulleiterin der Gemeinschaftsschule Bruchwiese in Saarbrücken. Ihre Schule machte mit einem Brandbrief des Lehrer-Kollegiums, den die Saarbrücker Zeitung im Dezember veröffentlichte, bundesweit Schlagzeilen. In dem Schreiben an die Landesregierung vom Sommer 2017 wurden Gewalt, Beleidigungen und Drogenkonsum im Schulalltag beschrieben. Umso interessierter verfolgten die 230 Teilnehmer an der Universität des Saarlandes – darunter Lehrer, Sozialarbeiter und Polizisten –, was Götten in ihrem Vortrag zum Tagungs-Thema „Gewaltprävention als Teil der Schulentwicklung“ zu sagen hatte.

Unter anderem forderte sie, mehr Förderschullehrer einzustellen. Ansonsten sei vieles heute einfach nicht mehr leistbar, so Götten. Das liege zum einen an der Zunahme von Schülern mit sozial-emotionalen Störungen an Regelschulen, zum anderen an gesamtgesellschaftlichen Veränderungen. Auch wenn Götten die darin geschilderten Sachverhalte als „Einzelfälle“ bezeichnete, unterstrich sie doch die Aussagen aus dem berühmt-berüchtigten Brandbrief: Unter anderem habe sowohl die Gewaltbereitschaft bei den Schülern zugenommen als auch die „Qualität der Gewaltanwendungen“. Das betreffe aber alle Schulen, nicht nur die Bruchwiese. Früher sei eine Schlägerei beendet gewesen, wenn jemand am Boden lag. Das sei heute nicht mehr der Fall. Und es würden heutzutage an Schulen auch Messer gezückt. So seien „mehrere lebensbedrohliche Situationen“ der Anlass für den Brandbrief gewesen, so Götten.

An der Bruchwiese mache man sehr viel in Sachen Prävention – und zwar schon seit Jahren, wie Götten betonte. So gebe es zwei Schulsozialarbeiter mit 48,75 Wochenstunden. Das reiche allerdings nicht aus, um neben akuten Fällen auch ganz normale Probleme des Alltags zu bewältigen. Außerdem seien ein „Coolness-Training“ zur Gewaltprävention sowie das „Lions-Quest-Programm“ zur Vermittlung sozialer Schlüsselkompetenzen an der Schule etabliert. Als weitere Maßnahme wurde jetzt unter anderem eine Präventionssteuergruppe gegründet. Die hält etwa engen Kontakt zum Landesinstitut für präventives Handeln (LPH), das auch die gestrige Tagung veranstaltete. Darüber hinaus verfolgt die Schule einen neuen erlebnispädagogischen Ansatz und besetzt Unterrichtsstunden in schwierigen Klassen – sofern das personell überhaupt möglich ist – doppelt.

Eine weitere Referentin aus der Praxis knüpfte gestern nahtlos an Göttens Vortrag an. Martina Thielmann, die inzwischen die Gemeinschaftsschule Quierschied leitet, war bis vor kurzem Konrektorin an der Gemeinschaftsschule Ludwigspark. Dort war sie Mitglied eines fünfköpfigen „Krisenteams“, das bei leichten wie schweren Konflikten eingeschaltet wird. Sie sprach von immer höheren Anforderungen an Lehrer, die ja eigentlich weder Psychologen noch Sozialarbeiter noch Polizisten seien – aber all diese Aufgaben mit übernehmen müssen. „Externe Netzwerkarbeit ist das, was uns rettet“, lautet ihr Rezept. Schulen müssten engen Kontakt zu Einrichtungen wie dem schulpsychologischen Dienst, dem Jugendamt, der Kontaktpolizei oder dem LPH pflegen. Darüber hinaus sei aber auch eine bessere personelle Ausstattung nötig. Thielmann forderte vor allem mehr Schulpsychologen.

Unterstützung erhielten die beiden Frauen aus der Praxis gestern von Seiten der Wissenschaft. Der Pädagogik-Professor Marc Willmann von der Universität Leipzig übte scharfe Kritik an der Art und Weise, wie Inklusion in Deutschland umgesetzt wird: Unter den derzeitigen Bedingungen werde das Schulsystem zwangsläufig zusammenbrechen, prophezeite er. Für eine erfolgreiche Inklusion gebe es „zu wenige Stellen und zu wenig externe Beratung“. Eine kostenneutrale Umsetzung sei den Schulen „nicht zumutbar“. Willmann sieht prinzipiell die Vorteile im gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Beeinträchtigung an Regelschulen. Schüler lernten auf diese Weise etwa, mit Verschiedenheit umzugehen. Das Problem sei aber: „Inklusion kommt als Sparmodell daher.“

LPH-Direktor Günter Dörr betonte aber, dass die Inklusion nur ein Faktor sei, der den Schulen Probleme bereitet. Dazu kämen auch der Zustrom an Flüchtlingen ohne Sprachkenntnisse sowie ein allgemeiner Werteverfall: „Die Familie fällt bei der Erziehung immer häufiger aus“, sagte Dörr. Diese Aufgabe müssten mehr und mehr die Schulen übernehmen. Ihnen müsse man nun vor allem helfen, sich selbst stark zu machen.

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