Naturschutz in der Großregion Schossen Jäger auf streng geschützte Rotmilane?

Waldwisse/Rehlingen-Siersburg · Rolf Klein, Ortsvorsteher von Biringen, erhebt schwere Vorwürfe gegen Jäger aus dem französischen Waldwisse und erstattet Anzeige.

 Der Rotmilan (Symbolbild)

Der Rotmilan (Symbolbild)

Foto: dpa/Boris Roessler

Als Naturschützer Rolf Klein am Sonntag vor einer Woche mit seiner Familie auf der Terrasse frühstücken wollte, ist ihm der Kaffeelöffel aus der Hand gefallen. Der passionierte Vogelschützer und CDU-Ortsvorsteher von Biringen musste nach eigenen Angaben mitansehen, wie Jäger in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, im französischen Waldwisse, auf Rotmilane schießen. „Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Die Vögel stehen sowohl in Deutschland als auch in Frankreich unter Naturschutz. Sie zu töten, ist ein massiver Strafbestand“, sagt Klein. Er gehört als einer von zehn bundesweiten Experten der Deutschen Seltenheitskommission der Vogelkunde an, ist Mitglied im Naturschutzbund Nabu und kann, wie er selbst sagt, auch „aus Entfernung beurteilen, was da am Himmel fliegt“.

Klein hat zwar kein totes Tier gefunden, aber mittlerweile bei der Polizei in Dillingen Strafanzeige erstattet und auch ein Video des Vorgangs aufgezeichnet, das er an deutsche und französische Behörden weiterleiten möchte. Unserer Zeitung wollte er das Video nicht übermitteln, er möchte zunächst den Behörden das Auswerten überlassen.

Von Kleins Verdacht weiß mittlerweile auch Waldwisses Bürgermeister Jean-Guy Magard. Am Sonntag bekam er einen Anruf von der französischen Polizei, die von ihren saarländischen Kollegen alarmiert worden war. Umgehend nahm er Kontakt zu der Jägervereinigung auf, die sich gegen den Vorwurf vehement wehrt, auf Rotmilane geschossen zu haben. „Der Vorsitzende meinte, dass diese Leute genau wissen, welche Vögel man in Frankreich legal jagen darf. Und sie wissen genau, dass es auch hier strengstens verboten ist, auf Rotmilane zu schießen“, so der Bürgermeister.

 Jean-Guy  Magard,  Bürgermeister  der lothringischen Gemeinde Waldwisse

Jean-Guy Magard, Bürgermeister der lothringischen Gemeinde Waldwisse

Foto: Tanja Bücken

Das bezweifelt Rolf Klein: „Die Pächter wissen gar nicht, auf was sie schießen. Die ballern auf alles, was drüber fliegt“, ärgert er sich. Die Schüsse machten auch jede Menge Lärm. Teilweise würden mehr als zehn Jäger an Sonntagvormittagen zwischen August und Februar hunderte Male binnen weniger Minuten schießen. Viele Biringer hätten sich am Sonntag wieder über die hallenden Schüsse beschwert.

Und das obwohl es bereits vor einem Jahr ein bilaterales Treffen zwischen Vertretern des Saar-Umweltministeriums und aus Rehlingen-Siersburg, der Jagdgemeinschaft, der französischen Generalkonsulin und Jean-Guy Magard gab. „Wir hatten einen Kompromiss gefunden“, sagt Magard. Seines Wissens nach hätten sich die Jäger daran gehalten und nicht mehr unmittelbar an der Gemarkung zu Deutschland geschossen.

Der Vorfall am Sonntag ist der Gipfel eines seit Jahren schwelenden Konflikts an der saarländisch-lothringischen Grenze nahe des Vogelschutzgebietes Saar-Nied-Gau. Ein Konflikt, der exemplarisch auf engstem Raum zeigt, wie wenig durchdacht, europäische Regelungen sein können. Denn während Naturschützer wie Klein im Vogelschutzgebiet Saar-Nied-Gau mit kostenintensiven Maßnahmen dafür sorgen, dass es Vogelarten wie dem Goldregenpfeifer, der Turteltaube, dem Kiebitz oder der Wachtel gut geht, dass sie dort rasten können und sicher in ihr Winterquartier kommen, dürfen Jäger genau die gleichen Tiere wenige Meter entfernt auf französischem Staatsgebiet töten, um sie zu essen.

Möglich macht dies eine Ausnahmegenehmigung, die Frankreich und andere Länder im Jahre 2009 bei der Europäischen Kommission beantragt haben. „Wir päppeln die Tiere hier auf, und dort werden sie abgeschossen. Das ist schizophren“, urteilt Klein. Er sei nicht grundsätzlich gegen die Jagd, sie sei aus Naturschutzgründen sogar sehr wichtig. „Aber ich bin gegen die Jagd auf Singvögel und bedrohte Arten.“ Wöchentlich sei vom Rückgang verschiedenster Vogelarten zu hören, häufig mache die Öffentlichkeit Landwirte für das Verschwinden bedrohter Vögel verantwortlich – ohne zu sehen, dass das direkte Töten der Tiere viel dramatischere Folgen habe. Es existierten zum Beispiel wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass mehr Wachteln jedes Jahr legal geschossen werden als der europäische Brutbestand nachbringen kann. „Da muss doch jedem klar sein, dass wir aus dem Zeitalter längst raus sein müssten, in dem wir bedrohte Tierarten nur zum Spaß töten.“ In Deutschland ist die Jagd auf Singvögel nach Angaben des saarländischen Umweltministeriums verboten.

Bis vor wenigen Jahren gab es die Konflikte rund um die Jagd auf Singvögel zwischen Saarländern und Lothringern in Biringen und Waldwisse nicht. „Damals war die Gemarkung in Waldwisse an französische Jäger verpachtet, die Singvögel weitestgehend verschont haben. Doch seit einiger Zeit hat sich das geändert.“

Klein glaubt, dass es mit dem Bewusstsein der neuen Jagdpächter zu tun hat. In der Tat hatte der Bürgermeister von Waldwisse im vergangenen Jahr unserer Zeitung erklärt, dass es neue Pächter des Reviers gibt, die das Gelände für neun Jahre gepachtet haben und dass die Jagdvereinigung kontrolliere, ob keine Vögel abgeschossen werden, die auf einer Artenliste stehen. Bei unangekündigten Kontrollen seien damals keine geschützten Tiere in Jagdtaschen gefunden worden. „Mich würde interessieren, ob diese Kontrollen immer noch stattfinden“, sagt Klein.

Über die von ihm beobachteten Schüsse auf Rotmilane hat er nun die französische Naturschutzbehörde informiert, auch die Information der Staatsanwaltschaft soll folgen. Und der engagierte Naturschützer möchte erneut das Gespräch mit dem Waldwisser Bürgermeister suchen, um „im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft eine schnelle Lösung zu finden“. Jean-Guy Magard zeigt sich offen: „Ich bin jederzeit bereit, als Vermittler aufzutreten und mit allen Parteien zu sprechen“. Denn in einer Sache sind sich Magard und Klein einig: „Wer einen Rotmilan erschießt, muss bestraft werden.“ Magard hat sich nach eigenen Angaben auch schon an die zuständige Behörde ONCFS in Metz gewandt. Sie könnte, sollte ein totes Tier gefunden werden, dieses untersuchen und klären, mit welcher Munition es erschossen wurde.

 Rolf Klein,  Naturschützer  und CDU-Ortsvorsteher  in Biringen

Rolf Klein, Naturschützer und CDU-Ortsvorsteher in Biringen

Foto: Johannes A. Bodwing

Auch das saarländische Umweltministerium ist alarmiert. Sollte es tatsächlich in dem Gebiet zum Abschuss eines Rotmilans oder einer anderen auch in Frankreich hoch geschützten Art gekommen sein oder kommen, so ein Sprecher, appelliere das Ministerium an die französischen Behörden, sich umgehend einzuschalten. Zum Abschuss von Singvögeln im lothringischen Waldwisse heißt es: „Wir finden die Jagd auf Singvögel nicht gut, sie steht unserer Ausweisung von Naturschutzgebieten für diese Arten diametral entgegen, aber wir müssen diese kulturgeschichtliche Ausnahmeregelung Frankreichs akzeptieren.“

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