Neue Röder-Biographie „Röder war das Saarland und umgekehrt“

Saarbrücken · Im präsidialen Halbschatten: Hans-Christian Herrmanns neue Biographie über den früheren saarländischen Ministerpräsidenten.

 Landesvater mit Eleganz: 20 Jahre, von 1959 bis 1979, lang war Franz Josef Röder, hier bei der Aufzeichnung einer Fernsehansprache, Ministerpräsident des Saarlandes.

Landesvater mit Eleganz: 20 Jahre, von 1959 bis 1979, lang war Franz Josef Röder, hier bei der Aufzeichnung einer Fernsehansprache, Ministerpräsident des Saarlandes.

Foto: Erich Isenhuth

Für wenigstens eine Generation Saarländer war Franz Josef Röder „der“ Ministerpräsident; sein Name reifte hier zum Synonym für Landesvater. Schon weil es über 20 Jahre eben nur diesen einen Ministerpräsidenten gab. Dem Autor der neuen Röder-Biografie, Hans-Christian Herrmann (Jahrgang 1964) muss es wohl so ergangen sein. „Röder war das Saarland und umgekehrt“, befindet Herrmann, Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs. Klingt beinahe wie der Kniefall vor ein absolutistischen Majestät, tatsächlich aber ist es die treffliche Zustandsbeschreibung der Röder-Jahre.

Zwei Dekaden, von 1959 bis zu seinem Tod 1979, bestimmte dieser Mann, der sich auch von Kabinettskollegen gern mit „Präsident“ ansprechen ließ, die Politik des Landes. Nur sein rheinland-pfälzisches Pendant Peter Altmeier (ein gebürtiger Saarbrücker), von 1947 bis 1969 tonangebend erst in der Koblenzer, dann in der Mainzer Staatskanzlei, übertraf Röder noch an Amtszeit. Und im Saarland brauchte es dann schon den mit im bischöflichen Konvikt geschärftem Geist, linken Sendungsbewusstsein und barocker Lebenslust gleichermaßen begabten Oskar Lafontaine, um ihn als Ministerpräsident zu übertrumpfen. Eines jedoch eint die Antipoden Röder und Lafontaine: Gegen diese beiden verblassen Vorgänger wie Nachfolger.

Bemerkenswert klar arbeitet Herrmann heraus, warum sich zurecht von einer Ära Röder sprechen lässt. Dabei spielten natürlich die Herausforderungen der Zeit eine Rolle. Das späte Bundesland Saarland musste erst mal seinen Platz in der Bundesrepublik finden, aber der frühere Lehrer war exakt der Mann für diese Herausforderungen: Er wurde zur Integrationsfigur par excellence. Dabei startete Röder zunächst als Ersatzmann. Sein Vorgänger Egon Reinert kam 1959 bei einem Autounfall ums Leben. So war es an Röder, zuvor Kultusminister in Reinerts Kabinett, Kurs auf die BRD zu nehmen. Aber auch konsequent europäisch zu denken und den Nachbarn Frankreich nicht zu vergrätzen. Und Röder verschaffte dem Saarland Gehör im deutschen Konzert. Oft trat er dabei wie der Staatsmann eines eigenständigen Landes auf.

Vor allem aber musste Röder die Gräben schließen, die die Volksabstimmung von 1955 aufgerissen hatte. Nicht genug damit: Auch das christlich-politische Lager im Land war dadurch tief gespalten. 1905 in Merzig geboren, fand Röder offenbar auf vieles die richtigen Antworten. Selbst vom Katholizismus geprägt, setzte er auf eben diesen Nenner, um CDU- und CVP-Anhänger zu versöhnen. Präsidial, scheinbar über den Dingen stehend, galt er auch als zugewandter Zuhörer. Der aber auch eine gewisse Unnahbarkeit kultivierte. Schon mit seinem Stilbewusstsein schaffte er sich im Land der Hütten und Gruben Distanz. Ohne Einstecktuch und Manschettenknöpfe ging er nicht aus dem Haus. Der „Spiegel“ kürte ihn 1975 gar zu „einem der elegantesten Politiker Deutschlands“. „Le Monde“ verglich ihn 1974 mit einer „sizilianischen Standespersönlichkeit“; ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und Hans Christian Herrmann konstatiert: „Röder trug stets Anzug, aber nicht irgendwelche. Maß, Stoff und Passform schmückten ihn“. Wobei er das feine Tuch wohl vom damaligen Herrenausstatter „Overbeck“ in der Saarbrücker Bahnhofstraße bezog, vermutet jedenfalls der Biograph.

Bisweilen beschleicht einen da der Verdacht, dass ein Archivar, der aus dem Vollen schöpfen kann, seine Detailverliebtheit nicht bändigen konnte. Und auch mal abschweift zu anderen Forschungsthemen. So nimmt die Automobilhistorie im Saarland einen über die Maßen großen Raum ein und überraschenderweise auch ein „Streifzug“ durch die saarländische Kriminalitätsgeschichte. Nicht selten ist der Band weniger Biographie als das, was er im Untertitel auch verheißt: ein Buch über „das Saarland und seine Geschichte“. Wobei auch das äußerst lesenswert ist.

Andererseits zeichnet Herrmann ein konturenreiches Bild von Röders Politikerjahren, dies oft mit der Fabulierlust eines Schriftstellers. Röders Jugendjahre allerdings streift er nur. Dafür beleuchtet er die innerparteiliche Situation der Konservativen exzellent, auch das nicht immer spannungsfreie Verhältnis zur CDU im Bund. Und er taucht tief in die Wirtschafts- und Industriegeschichte des Saarlandes ein, nimmt Partei für Röders Festhalten am Montansektor; schließen rauchten die Schlote ja auch noch kräftig damals. Und er lobt die Ansiedlungspolitik, ganz zentral das Saarlouiser Ford-Werk, ohne allerdings immer nachvollziehbar zu machen, wie hoch Röders Anteil, der Part der Landesregierung, dabei nun tatsächlich war. Dünn sei die Quellenlage, befindet Hermann, er versucht mit Zeitungstexten und Zeitzeugenberichte die Lücken zu schließen.

Auch in anderer Hinsicht ist Hermanns Band hochaktuell. Entzündete sich doch um den einstigen Regierungschef ein Historikerstreit en miniature – mit Röders Rolle in der NS-Zeit als Zündfunke. Gesteigerte Empörungsbereitschaft hier, dort ein deutlich milderer Blick auf das einstige NSDAP-Mitglied markieren die emotionalen Pole der Debatte. Hermann, als Stadtarchiv-Leiter ein Historiker in der Region mit Rang, bewertet Röders Zeit gerade auch im Auslandsschuldienst in den Niederlanden von 1937 bis 1945, wo dieser auch darüber zu befinden hatte, ob niederländische Studenten, die sich für Nazi-Deutschland begeisterten, in Deutschland studieren dürfen, zurückhaltend. „Es gibt keine Verdachtsmomente dafür, dass Röder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen habe“. Und er führt an, dass eine Studie zur NS-Herrschaft in den Niederlanden von Johannes Koll aus dem Jahr 2015 den Name Röder nicht erwähne. Bestenfalls ein Indiz für seine Nicht-Bedeutung. Da hätte man sich klar eine weitergehende Auseinandnersetzung gewünscht.

 Das Ford-Werk in Saarlouis zählt als großer Ansiedlungserfolg der Ära Röder. Hier probierte Franz Beckenbauer PR-wirksam einen Fiesta aus, auch wenn sich der „Kaiser“ sonst kaum für Kleinwagen begeisterte.

Das Ford-Werk in Saarlouis zählt als großer Ansiedlungserfolg der Ära Röder. Hier probierte Franz Beckenbauer PR-wirksam einen Fiesta aus, auch wenn sich der „Kaiser“ sonst kaum für Kleinwagen begeisterte.

Foto: Hartung
 Alte Industrie: Franz Josef Röder stand fest zu Kohle und Stahl. Anlässlich seines 20-jährigen Regierungsjubiläums unternahm er eine Grubenfahrt.

Alte Industrie: Franz Josef Röder stand fest zu Kohle und Stahl. Anlässlich seines 20-jährigen Regierungsjubiläums unternahm er eine Grubenfahrt.

Foto: Hartung

Hans Christian Herrmann: Franz Josef Röder - Das Saarland und seine Geschichte, 382 Seiten, Röhrig Verlag, 26,80 Euro.

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