Sexuelle Gewalt Opfer sexueller Gewalt gewinnen Zeit

Saarbrücken · Mit der „Vertraulichen Spurensicherung“ können Frauen noch Wochen nach einer Vergewaltigung Anzeige erstatten.

 Frauen, die nach einer Vergewaltigung Angst haben, Anzeige zu erstatten, können nun Spuren sichern lassen.

Frauen, die nach einer Vergewaltigung Angst haben, Anzeige zu erstatten, können nun Spuren sichern lassen.

Foto: dpa/Stephan Jansen

Viele Frauen zeigen den Täter nach einer Vergewaltigung nicht an. Häufig war es kein Fremder, sondern der Partner oder ein Bekannter. „In solchen Fällen ist die Scham viel größer, auch die Angst, dass einem nicht geglaubt wird“, sagt Sonja Bader vom Frauennotruf. Manchmal sei die Frau auch abhängig vom Mann oder mache sich selbst Vorwürfe. Viele schrecke zudem ab, dass Polizei und Justiz ihnen zwangsläufig intime Fragen stellen.

Um Frauen die Entscheidung, ob sie Anzeige erstatten oder nicht, so kurz nach der Tat abzunehmen, hat die Landesregierung im November 2014 die „Vertrauliche Spurensicherung“ eingeführt. Damit können Frauen von einer Gynäkologin die Spuren sichern lassen, die zehn Jahre lang aufbewahrt werden, falls sie später beschließen, zur Polizei zu gehen. In fünf Kliniken und zehn Frauenarztpraxen im Saarland wird dies angeboten. Dabei werde unter anderem Sperma gesichert und Fotos von blauen Flecken gemacht.

26 Frauen haben dieses Angebot bisher genutzt. Eine der 26 Frauen hat sich laut Sozialministerium tatsächlich zur Anzeige entschieden. Ob der Täter verurteilt wurde, ist nicht bekannt. Das scheint auf den ersten Blick nicht viel, doch aus Sicht von Bader ist es ein Erfolg: „Wir sind überrascht, wie gut es angenommen wird.“ Die Kriminalstatistik verzeichnet für das Jahr 2016 insgesamt 83 Sexualdelikte im Saarland. Doch die Dunkelziffer sei „riesig“, so Bader.

Doch das Angebot ist nicht unumstritten. So hält es der Linken-Landtagsabgeordnete Dennis Lander zwar an sich für sinnvoll, doch bei der Umsetzung hapere es. Lander, der vor seiner Zeit als Landtagsabgeordneter als hilfswissenschaftlicher Mitarbeiter in der Rechtsmedizin arbeitete, hat Zweifel, dass ein Gynäkologe in der Lage ist, die Spuren so zu sichern, dass sie später vor Gericht verwendet werden können. „Klinikärzte sind auf Heilung spezialisiert, nicht auf Beweissicherung.“ Zwar werden die Ärzte geschult, doch Lander hält es für fraglich, dass dies die fünfjährige Fachausbildung eines Rechtsmediziners ersetzen kann. Hinzu komme, dass die Ärzte kaum Erfahrung sammeln könnten – bei im Schnitt neun Fällen pro Jahr, verteilt auf 15 Standorte. Die Ärzte haben zwar einen umfassenden Dokumentationsbogen, den sie Schritt für Schritt durchgehen – ein aufwändiges Vorgehen für die Mediziner, die ohnehin häufig unter Zeitdruck stehen. „Ich habe es selbst erlebt, dass Ärzte deswegen genervt waren, was wiederum die Frau stark verunsichert hat“, sagt Lander. Ideal wäre aus seiner Sicht, wenn ein Gynäkologe mit forensischer Erfahrung die Frauen untersuchen würde, und ein Arzt pro Landkreis zuständig wäre, der mehr praktische Erfahrung hätte.

Experten bestätigen Landers Einschätzung. So sagt eine Fachärztin für Rechtsmedizin, die anonym bleiben möchte: „Gynäkologen können hervorragend den gynäkologischen Status einer Frau erheben, aber die Begleitverletzungen so beschreiben, dass der Tathergang rekonstruiert werden kann, können sie nicht.“ So müssten etwa blaue Flecken auf eine spezielle Weise geschildert werden, damit ersichtlich wird, dass es sich um Griffspuren handelt. „Es reicht nicht, zu schreiben, die Frau habe Hämatome am Oberarm. Man muss die Verletzungen so beschreiben, dass klar wird, dass sie von vier Fingern und einem Daumen stammen.“ Die Expertin wirft zudem die Frage auf, an wen sich vergewaltigte Männer wenden können: Ihnen stehe das Angebot nicht offen.

Das Sozialministerium hält die Kritik für unangemessen: Da die Ärzte geschult werden und sich verpflichten, sich fortzubilden, sei „die Fachlichkeit absolut gegeben“, betont eine Sprecherin: „Die Spuren werden in jedem Fall so gesichert, dass sie gerichtsverwertbar sind.“ Dabei würden die gleichen Standards angelegt wie bei einer polizeilichen Spurensicherung. Auch das Justizministerium hat keine Bedenken, dass die Spuren vor Gericht Bestand haben.

Die SPD-Landtagsfraktion hält von Landers Vorschlag, das Angebot nur an sechs Standorten zu machen, wenig: „Zentralisierung und weniger Angebote machen die Hemmschwelle für viele Frauen noch größer“, sagt die frauenpolitische Sprecherin Martina Holzner. Sie hält das Projekt für „extrem wichtig“: „Jede Frau, die sich meldet und davon Gebrauch macht, ist ein Erfolg.“ Genau deshalb müsse darauf immer wieder aufmerksam gemacht werden.

Kliniken und Arztpraxen, die die Vertrauliche Spurensicherung anbieten, finden Betroffene unter www.saarland.de/spuren-sichern.htm

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