Neues Projekt im Saarland Eine neue helfende Hand für Krebskranke

Saarbrücken · Im Saarland betreuen acht Onko-Lotsinnen 200 Patienten. Es könnten 1800 sein. Dem „Pikko“-Projekt fehlt es noch an Bekanntheit.

 Susanne Welsch, die Onko-Lotsin des Caritas Klinikums Saarbrücken, gestern bei einer Patientinnen-Beratung.

Susanne Welsch, die Onko-Lotsin des Caritas Klinikums Saarbrücken, gestern bei einer Patientinnen-Beratung.

Foto: Oliver Dietze

Magenkrebs. Überlebenschance für die nächsten fünf Jahre? 30 Prozent, das sagt Dr. Google. Das Internet ist ein Riesen-Selbstbedienungs-Supermarkt für medizinische Informationen und Ratschläge. Doch was nicht frei Haus geliefert wird, sind Antworten auf Alltags-Fragen: Wie sage ich’s meinen hochbetagten Eltern? Wer hilft mir im Haushalt? Was muss ich mit der Personalabteilung besprechen? Wenn die Welt zusammenstürzt und man sich im freien Fall fühlt, braucht man jemanden, der den Fallschirm aufspannt – und am besten mitfliegt.

Genau das macht Susanne Welsch (52). Sie ist eine der insgesamt acht Onko-Lotsinnen, die seit November 2017 im Rahmen des neuartigen Beratungs- und Unterstützungsprojektes „Pikko“ ausgebildet wurden und seit 2018 tätig sind. Die Pflegefachkraft für Brustkrebspatientinnen arbeitet bereits seit 2008 im Sozialdienst der Saarbrücker Caritasklinik auf dem Rastpfuhl, ist also fit im Sozialrecht, kennt den psychosozialen Themen-Kosmos für alle nur denkbaren Krankheitsfälle. Trotzdem, sagt sie, sei ihre neue Tätigkeit als Onko-Lotsin unersetzlich. Warum? „Wir fokussieren uns ganz auf das onkologische Fachgebiet, kennen alle Angebote und können den Patienten auf alle Hilfen einen schnelleren Zugriff ermöglichen, etwa zur Ernährungsberatung oder für Termine beim Psycho-Onkologen.“ Das ist nicht alles. Wer am Pilotprojekt „Pikko“ teilnimmt, bekommt nicht nur kostenlose Beratungsstunden, sondern erhält auf einem online-Portal (My Pikko) auf die eigene Krebserkrankung zugeschnittene Informationen. Der Hauptvorteil: Die Infos sind qualitätsgesichert, das heißt wissenschaftlich geprüft. So erspare man den sowieso psychisch strapazierten Menschen viel Verunsicherung, sagt Welsch. Sie könne den Menschen oft Ängste nehmen: „Die Therapien sind heute viel besser verträglich als noch vor 20 Jahren.“

 Für ihren Job als Onko-Lotsin wurde Welsch geschult. Die Klinik hat sie zu 75 Prozent für ihre neue Tätigkeit frei gestellt. 80 „Pikko“-Patienten betreut sie derzeit, für jeden erhält die Klinik aus dem „Pikko“-Projekt eine Pauschale von 170 Euro. Im Saarland nehmen 200 Menschen am Pilotprojekt teil, 1800 Patienten könnten maximal ins Programm, das durch Bundesmittel finanziert wird. Da ist noch viel Wachstums-Luft nach oben. Woran liegt’s? Das Projekt starte erst jetzt in seine zweite Phase bis 2019, erläutert Dr. Lutz Hager, Geschäftsführer der IKK Südwest. Nach einer ersten Phase mit Befragungen würden erst jetzt Menschen die Beratung testen. Bisher nur Patienten der IKK, der Techniker Krankenkasse (TK) und der Knappschaft. Ziel ist, alle Ersatzkassen mit ins Boot zu nehmen, und später auch die privaten Kassen.

Hauptstreiterin für dieses Anliegen ist Saar-Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU). „Die Menschen verstehen es nicht, wenn man ihnen sagt, du bist in der falschen Kasse und deshalb bekommst du die Pikko-Leistungen nicht.“ Bachmann sieht beste Chancen, „Pikko“ auszuweiten. Zudem rechnet sie fest damit, dass die Leistungen irgendwann in die Regelversorgung übernommen werden. Die zeitliche und finanzielle Lücke, die sich zwischen dem Ende des bis 2019 vollfinanzierten Pilotprojektes und der Einführung als Regelleistung auf Bundesebene ergeben wird, möchte Bachmann aus Mitteln ihres Ministeriums stopfen: „Wir werden das hier nicht abreißen lassen“, sagt sie. Das dürfte die Saarländische Krebsgesellschaft freuen. Sie kann erstmals psycho-onkologische Beratung fremdfinanzieren. Bisher lief alles über Spenden. Über „Pikko“ werden jetzt pro Patient acht Beratungen bezahlt. So ist die Mitarbeiter-Zahl laut der Sprecherin der Krebsgesellschaft Sabine Rubai von drei auf zehn gestiegen. 2500 Beratungskontakte habe man bisher jährlich gehabt – bei statistisch 6500 Krebs-Neuerkrankungen. „Wir mussten viele wegschicken“, so Rubai. Und welchen Vorteil haben die Kassen außer einem Imagegewinn? Mit „Pikko“ lassen sich ohne Zweifel Kunden gewinnen. „Es geht um eine Versorgungsverbesserung, die Kassen haben einen Sozialstaatsauftrag“, stellt der Vorstand der IKK Südwest klar, Professor Dr. Jörg Loth. Rückmeldungen von Patienten hätten deutlich gemacht, dass zwar die medizinische Regelversorgung gut laufe, es aber Lücken gebe. „Manchmal liegen zwischen Diagnose und Arztgespräch, in dem es um die Therapie geht, mehrere Tage. Das ist ein Martyrium“, so IKK-Geschäftsführer Hager. Er und Loth erwarten finanzielle Positiv-Effekte im Gesundheitssystem. Der Krebspatient drehe oft Schleifen, bis der richtige Spezialist gefunden sei, dies entfalle. Und die Zahl der psychologischen Behandlungen könne abnehmen. „Pikko“ entlaste die Psyche.

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