"Mit mir hat keiner gerechnet"

Düsseldorf/Landsweiler. Ein Amateur-Boxer schlägt Weltmeister Vitali Klitschko nach Punkten - eine abwegige Vorstellung, doch im Fall von Holger Philippi ein passender Vergleich

Düsseldorf/Landsweiler. Ein Amateur-Boxer schlägt Weltmeister Vitali Klitschko nach Punkten - eine abwegige Vorstellung, doch im Fall von Holger Philippi ein passender Vergleich. Denn so oder so ähnlich muss man sich den sensationellen Sieg des 38 Jahre alten Lebachers bei den deutschen Meisterschaften im Kegeln vorstellen, wo der Landesliga-Spieler die versammelte deutsche und internationale Elite aus der gewohnten Erfolgsbahn warf.Nach Unfall im Koma "Holger wer?", werden sich die Zuschauer in der Düsseldorfer Kegelsporthalle bei der Vorstellung der acht Finalisten im Herren-Einzel gefragt haben. "Holger Philippi vom KSC Landsweiler, der neue deutsche Meister", lautete die Antwort nach einem packenden Endlauf. Selbst der Sieger konnte es kaum fassen. "Dieser Titelgewinn ist einfach unglaublich. Mit mir hat hier keiner gerechnet, auch ich nicht", erinnert sich der Überraschungs-Sieger an den Moment des Triumphes. Kurios: Als Achter der Landesmeisterschaften hatte sich Philippi zunächst gar nicht für die deutsche Meisterschaft qualifizieren können. Nur weil ein Starter aus beruflichen Gründen absagte, rückte er kurzfristig nach. "Mein Ziel war es, unter die ersten 13 zu kommen. Nach dem Vorlauf war ich Sechster, nach dem Zwischenlauf Vierter. Was hatte ich im Finale da noch groß zu verlieren?", lacht Philippi. Nach 60 von 120 Würfen noch Letzter, drehte der Außenseiter auf den letzten beiden von vier Räumgassen (244 und 243 Holz) richtig auf. Mit einer Serie von "Neunern" zog Philippi auf der Schluss-Gasse an dem bis dato mit neun Holz führenden luxemburgischen Weltmeister Steve Blasen vorbei. Mit dem saarländischen Kegel-Titan Holger Mayer auf der Nachbarbahn lieferte sich der Underdog bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Und es reichte. Am Ende wies Philippi den aktuellen Dreifach-Europameister mit vier Zählern Vorsprung in die Schranken. Als nach Philippis letztem Wurf über Bahn sieben 949 Holz leuchteten, war die Sensation perfekt. "Mir haben die Beine gezittert. Ein unbeschreibliches Gefühl", strahlt der Überraschungs-Champion. Ein Sieg bei den deutschen Meisterschaften - vor fünf Jahren hätte Philippi nicht im Traum daran gedacht. Nach einem schweren Auto-Unfall lag der Maschinen-Schlosser drei Wochen lang im Koma und kämpfte um sein Leben. "Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen. Unterhalb vom Bauch war alles gebrochen", erinnert sich Holger Philippi an seine härteste Zeit. Zehn Operationen musste er ertragen. 2005 stand der Mann, der 2002 mit dem KSC Lebach den Aufstieg in die Erste Liga geschafft hatte, schon wieder auf der Kegelbahn. Zunächst nur als Betreuer beim KSC Landsweiler. Nach vorsichtigen Versuchen nahm er ein halbes Jahr später die Kugel wieder selbst in die Hand.Goldmedaille verschenktIn der aktuellen Landesliga-Runde hat es mit der Meisterschaft nicht geklappt. Das Rennen um den Aufstieg in die 2. Bundesliga machte Überherrn mit einem Punkt Vorsprung. Genügend Möglichkeiten, höherklassig zu kegeln, hätte Philippi trotzdem. Nach seinem Titelgewinn regnete es Angebote aus der 2. und 1. Bundesliga. Und natürlich auch von Zweitliga-Absteiger KSC Lebach. "Es bleibt aber alles beim Alten. Ich kegele weiter mit Landsweiler in der Landesliga. Ich fühle mich einfach wohl hier", sagt der deutsche Meister, "dann schaffen wir den Aufstieg eben im nächsten Jahr." Und welchen Ehrenplatz bekommt nun die Goldmedaille? Holger Philippi lacht: "Die habe ich gar nicht mehr." Dann erklärt er: "Ich habe sie unserem Vereinsvorsitzenden Manfred Radau geschenkt. Der hat so viel für mich gemacht . . ."

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