„Migration ist der Motor der Menschheit“

Saarbrücken · Es ist ein Plädoyer gegen Fremdenfeindlichkeit: Bei der Eröffnung des Deutschen Archivtages spricht Prinz Asfa Wossen-Asserate rund 600 Archivaren in der Saarbrücker Congresshalle eine besondere Bedeutung zu.

Was hat eine Gabel mit Archivaren zu tun? Nun, dazu muss man wissen: Der erste Bericht über Gabeln in Mitteleuropa stammt aus dem Frühmittelalter. Demnach zückte eines schönen Tages im schönen Venedig eine Prinzessin aus Byzanz (heute: Istanbul) das gezinkte Esswerkzeug und stocherte in den Speisen. Eine neue Mode, die Kritiker sogleich als "sündhafte Verweichlichung" verurteilten. Die Gabel ist ein Beispiel, das nach den Worten des deutsch-äthiopischen Autors Asfa Wossen-Asserate zeigt: Wer sich einbildet, Europa sei die Wiege hoher (Ess-)Kultur, liegt falsch. "Der fremde Einfluss wird irgendwann vergessen", so Asfa Wossen-Asserate, der 2003 mit dem Buch "Manieren" einen Bestseller schrieb. Woher man von den Einflüssen auf eine Kulturgeschichte weiß? Aus den Archiven, so der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie am Mittwochabend in seiner Rede zur Eröffnung des 83. Deutschen Archivtags in Saarbrücken.

Was hat eine Gabel mit Integration zu tun? Nun, der Einfluss von Fremden (etwa einer Gabel) ist Bestandteil jeder Kultur, seit jeher. Entsprechend sei "jeder einzelne von uns ein kulturelles Mischwesen", so der 65-jährige Asfa Wossen-Asserate in seinem Vortrag "Integration und Interkultur im 21. Jahrhundert". Wer diese Zusammenhänge verinnerliche, sehe, "dass der Andere kein Fremder ist, sondern ein Spiegel unserer selbst".

Einwanderer, die nicht zuletzt in Deutschland mitunter als "Bedrohung der kulturellen Identität" verstanden würden, seien also gerade das nicht - sondern im Gegenteil Bereicherung und Garant für Fortschritt. Asfa Wossen-Asserate: "Migration ist der eigentliche Motor der Menschheit und der sozialen Evolution." So eroberte der Homo sapiens von Ostafrika aus die Welt oder fanden muslimische Einflüsse Eingang ins europäische Wertesystem. "Wer die Archive studiert", werde sich davon überzeugen können, so der Prinz. Archive hätten die wichtige Funktion, Vorurteile in einer Gesellschaft abzubauen.

Gleichwohl forderte Asfa Wossen-Asserate von Einwanderern "die Offenheit zu lernen" und sich Kenntnisse des Gastlandes anzueignen. "Soll das gelingen, braucht es allerdings ein Mindestmaß an Teilhabe": So müsse vor allem der Arbeits- und Wohnungsmarkt für Zuwanderer offen sein. Die "interkulturelle Verbundenheit ist heute Realität in Deutschland und vielen anderen Ländern". Archive könnten "einen entscheidenden Beitrag leisten", damit die Gesellschaft dies erkenne, so der Prinz. Die Logik vom (im wahrsten Sinne des Wortes) Unsinn der Fremdenfeindlichkeit ist nicht neu, aber nicht oft genug zu betonen. Daraus eine besondere Bedeutung der Archive abzuleiten, dürfte die Veranstalter gefreut haben.

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