"Migranten fehlen die Vorbilder"

Herr Abbaszadeh, in Saarbrücken haben die interkulturellen Wochen begonnen - in einer Zeit, in der die Multikulti-Gesellschaft zunehmend auf Kritik stößt. Kanzlerin Angela Merkel hat in einer Rede gesagt, Multikulti sei "absolut gescheitert".Abbaszadeh: Das sind Wahlkampf-Parolen. Fakt ist: Multikulti lebt. Deutschland ist eine multikulturelle Gesellschaft

Herr Abbaszadeh, in Saarbrücken haben die interkulturellen Wochen begonnen - in einer Zeit, in der die Multikulti-Gesellschaft zunehmend auf Kritik stößt. Kanzlerin Angela Merkel hat in einer Rede gesagt, Multikulti sei "absolut gescheitert".Abbaszadeh: Das sind Wahlkampf-Parolen. Fakt ist: Multikulti lebt. Deutschland ist eine multikulturelle Gesellschaft.

Laut einer Umfrage haben 40 Prozent der Deutschen Angst vor dem Islam. Migranten haben deutlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wie können interkulturelle Wochen helfen, solche Probleme zu lösen?

Abbaszadeh: Sie können Raum für Austausch schaffen. Aber: Die interkulturellen Wochen dürfen nicht zu einem reinen Folklore-Fest verkommen, bei dem nur Sirtaki getanzt und Börek gegessen wird. Die Probleme der Multikulti-Gesellschaft müssen auf den Tisch, alle Vorurteile, Ängste, Enttäuschungen. Konstruktiv, aber direkt. Nur wenn sie offen miteinander reden, können Einheimische und Einwanderer eine Beziehung aufbauen. Gleichzeitig sollten wir einander mehr schätzen: Einwanderer haben einen großen Beitrag zum Wohlstand Deutschlands geleistet. Umgekehrt bin ich dankbar dafür, dass ich unter der Obhut der deutschen Verfassung eine neue Heimat finden und eine Familie gründen konnte.

Es gibt unzählige Sprachkurse sowie Projekte, die Migranten integrieren sollen. Warum bleibt der große Durchbruch aus?

Abbaszadeh: Es braucht Zeit, bis diese Bemühungen Früchte tragen. Jahrzehntelang wollte die Regierung nicht wahrhaben, dass wir ein Einwanderungsland sind. Die Politiker dachten, die Gastarbeiter würden wieder gehen - was sich im Wort "Gastarbeiter" widerspiegelt. Seit 2000 gibt es mehr Förderangebote, durch das Zuwanderungsgesetz 2005 wurden sie noch verstärkt. Viele davon haben jedoch Schwächen.

Welche?

Abbaszadeh: Viele Projekte sind auf kurzfristige Hilfe - und nicht auf nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe ausgerichtet. Hinzu kommt, dass dabei Deutsche oft die aktive Rolle übernehmen - und Einwanderer die passive. Das ist der entscheidende Punkt: Migranten müssen mehr Verantwortung übernehmen. Sie sollen Deutschland mitgestalten. Nur so kann Integration gelingen.

Wie könnten Migranten dazu angeregt werden?

Abbaszadeh: Sie müssen sich selbst bewusst machen, dass sie die Pflicht haben, sich für Deutschland einzusetzen. Als Motivation könnten ihnen Vorbilder dienen. Leider gibt es zu wenige.

Woran liegt das?

Abbaszadeh: Das liegt auch daran, dass Deutsche Einwanderern zu wenig zutrauen. Mehr als 20 Prozent der Bürger haben einen Migrationshintergrund, aber nicht einmal fünf Prozent von ihnen haben in der Politik, den Medien oder der Verwaltung Stellen inne. Deshalb bin ich für eine Quote. Wir können es uns gar nicht mehr leisten, die Fähigkeiten von Einwanderern brachliegen zu lassen. Zudem werden Schüler mit Migrationshintergrund nicht genug gefördert.

Inwiefern sind die Migranten für diese Probleme verantwortlich?

Abbaszadeh: Die Jüngeren drängen zu wenig in Verantwortungspositionen. Die Älteren wiederum leben zwar hier, haben aber die deutsche Sprache nie gelernt. Andere sprechen zwar Deutsch, aber nicht gut genug. Sie sollten ihre Kenntnisse ständig verbessern - weil Sprache die Voraussetzung für Teilhabe an der Gesellschaft ist.

Wie sollte das Zusammenleben in einer Multikulti-Gesellschaft gestaltet werden? Konservative fordern eine deutsche Leitkultur.

Abbaszadeh: Wir haben ein gemeinsames Fundament: die Verfassung. Ansonsten sollte jeder nach seiner Façon selig werden - solange er sich an das Gesetz hält. Alles andere ist gar nicht möglich: Selbst wenn ich wollte, ich könnte meine muslimische Prägung nicht ablegen. Allerdings bin ich ein Verfechter eines aufgeklärten Islam.

Und wie sollte die Gesellschaft auf Integrationsverweigerer reagieren?

Abbaszadeh: Die Verweigerer, die nur einen kleinen Prozentsatz ausmachen, sollten per Gesetz in die Pflicht genommen werden. Allerdings müssen wir auch nach den Ursachen für Verweigerung fragen - um ihr vorbeugen zu können.

Für die Zukunft: Was macht Sie zuversichtlich, was skeptisch?

Abbaszadeh: Skeptisch macht mich, dass ein Populist wie der Autor Thilo Sarrazin mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" so viel Gehör bekommt. Optimistisch stimmt mich, dass wir schon viel erreicht haben. Das sieht man schon daran, dass wir nicht mehr als "Gastarbeiter" bezeichnet werden, sondern als "Bürger mit Migrationshintergrund". Die Mehrheit der Deutschen hat akzeptiert, dass die Einwanderer zu Deutschland gehören.

Die Zukunft sind unsere Kinder und Jugendlichen. Daher sollten wir das Zusammenleben zwischen Heranwachsenden mit und ohne Migrationshintergrund besonders fördern. "Die Probleme müssen auf den Tisch, alle Vorurteile und Ängste."

Asgar Abbaszadeh

Auf einen Blick

Asgar Abbaszadeh wurde 1946 in Teheran geboren und lebt seit 1970 in Deutschland. Er studierte Geologie, Soziologie, Orientalistik sowie Politk und setzt sich für den Dialog der Kulturen ein, unter anderem im Verein Ramesch, im Arbeitskreis "Inländer und Ausländer", in der Initiative "Ausländerbeirat Saarbrücken" und im Verein "Gleiche Rechte". red

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