Interview Ferdinand M. Gerlach „Mehr Anerkennung für Pflegekräfte“

Saarbrücken · Der Vorsitzende des Sachverständigenrats schlägt zur Entlastung den Verzicht auf unnötige Leistungen vor.

 Professor Ferdinand M. Gerlach

Professor Ferdinand M. Gerlach

Foto: Michael Fuchs

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Professor Ferdinand M. Gerlach, fordert eine Entlastung der Pflegekräfte – durch den Verzicht auf unnötige Behandlungen im Krankenhaus. Gerlach ist Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Goethe-Universität Frankfurt. Heute spricht er im Saarland.

Was sind die wichtigsten Themen, die die neue Bundesregierung anpacken muss?

GERLACH Die Herausforderungen sind nach der Wahl die gleichen wie vor der Wahl. Wir werden erfreulicherweise älter, das bedeutet aber auch, dass mehr Menschen chronisch krank sind oder gleichzeitig mehrere chronische Erkrankungen haben. Da brauchen wir eine gute Versorgung, die zwischen Hausärzten und Fachärzten sowie zwischen Praxisärzten und Kliniken abgestimmt ist. Wir haben in Deutschland oft keine gute Zusammenarbeit zwischen Kliniken und Praxen. Die Mauer zwischen Kliniken und Praxen muss daher abgetragen werden. Die Notfallversorgung ist ein besonderer Brennpunkt, sie könnte dabei den Anfang machen.

Inwiefern?

GERLACH Wir haben überfüllte Notaufnahmen in den Kliniken, lange Wartezeiten, unzufriedene Patienten und unzufriedenes Personal. Auch der Druck in den Praxen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes und im Rettungsdienst steigt. Viele Patienten landen heute eher zufällig in einer Notaufnahme, obwohl sie ein Problem haben, das da gar nicht hingehört. Der Sachverständigenrat hat vorgeschlagen, dass es integrierte Leitstellen gibt: Egal, wo man anruft, ob man die 112 oder die 116 117 für den ärztlichen Bereitschaftsdienst wählt, man kommt bei einer Leitstelle raus, in der auch Ärzte sitzen. Da kann dem Patienten dann nach einer Beratung die Versorgung angeboten werden, die für ihn optimal ist. Und wir brauchen integrierte Notfallzentren, die an Kliniken angedockt sind und in denen niedergelassene und Klinikärzte ganz eng zusammenarbeiten – eine Versorgung aus einer Hand. Der Patient kommt durch eine zentrale Tür, und am kompetent besetzten Tresen wird entschieden, ob ihm vom ärztlichen Bereitschaftsdienst oder in der Notaufnahme besser geholfen werden kann.

Was sollte gegen den Ärztemangel getan werden?

GERLACH Wir haben im Bereich der Hausärzte ein zunehmendes Problem im ländlichen Bereich, aber auch in den strukturschwächeren Stadtteilen der Ballungsgebiete. Da muss dringend gegengesteuert werden. Wir erkennen aber entgegen der Mehrheitsmeinung in Deutschland keinen allgemeinen Ärztemangel, sondern vor allem eine Fehlverteilung: Wir haben mehr Spezialisten als wir benötigen und nur wenig Generalisten – und die meisten Ärzte arbeiten dort, wo wir sie am wenigsten benötigen, nämlich in überversorgten Quartieren in Ballungsgebieten. Diese doppelte Fehlverteilung müsste zuerst korrigiert werden, und dann könnte man überlegen, ob man tatsächlich noch mehr Ärzte ausbildet. Im internationalen Vergleich haben wir bereits eine leicht überdurchschnittliche Zahl von Ärzten.

Ganz offensichtlich ist der Mangel aber bei den Pflegekräften. Gibt es einen Pflegenotstand?

GERLACH Das ist ein bisschen überspitzt, auch wenn man das im internationalen Vergleich sieht. Von einem Notstand kann man flächendeckend nicht sprechen, punktuell möglicherweise aber schon. Es gibt immer mal wieder Situationen, wo es zu wenige Pflegekräfte für zu viele Patienten gibt.

Was schlagen Sie vor?

GERLACH Die Berufsgruppe muss die Anerkennung bekommen, die sie verdient.

Das heißt mehr Geld?

GERLACH Das heißt Aufstiegschancen, bessere Vergütung, gute Aus- und Weiterbildung, berufliche Perspektiven, angemessene Arbeitszeitmodelle, bessere Arbeitsbedingungen. Wir dürfen Nachtschwestern zum Beispiel nicht mit 40 Patienten allein lassen.

Mehr Pflegepersonal kostet mehr Geld. Müssten dafür die Krankenkassenbeiträge steigen?

GERLACH Es ist nicht primär der Ruf nach mehr Geld. Wir müssen an den Strukturen etwas verändern. Wir haben eine ganze Reihe von Krankenhäusern, die wir nicht benötigen. Und wir haben falsche Honorar-Anreizsysteme, die dazu führen, dass Ärzte und Kliniken teilweise unnötige Diagnostik machen, zum Beispiel Röntgen und Linksherzkatheter, und unnötige oder sogar schädliche Therapien wie Wirbelkörper-Operationen. Wenn sich Pflegekräfte um Betreuung, Zuwendung, Zuhören, Trösten und Begleiten kümmern, wird das hingegen nicht angemessen finanziert. Man müsste genau das viel höher gewichten.

Was würde sich daran für die Pflegekräfte ändern, wenn es weniger Krankenhäuser gäbe?

GERLACH Würden wir die Zahl der Krankenhäuser insbesondere in Ballungsgebieten reduzieren – wenn wir ein Viertel zumachen würden, würde sich die Qualität nicht verschlechtern – und würden wir unnötige Leistungen nicht mehr erbringen, hätten wir wieder mehr Pflegekräfte frei. Sie könnten dann dort eingesetzt werden, wo sie wirklich gebraucht werden für Dinge, die wirklich notwendig sind.

Die Politik ist zu diesen Strukturveränderungen nicht bereit.

GERLACH Da können wir nicht lockerlassen. Man kann nicht immer noch mehr Geld in das System pumpen und dann zugucken, wie die Leute ausbrennen und wie Patienten unnötige Leistungen erhalten, vielleicht sogar geschädigt werden.

 Pflegekräfte verdienen aus Sicht des Gesundheits-Experten bessere Arbeitsbedingungen, Aufstiegschancen und eine angemessene Vergütung.

Pflegekräfte verdienen aus Sicht des Gesundheits-Experten bessere Arbeitsbedingungen, Aufstiegschancen und eine angemessene Vergütung.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Professor Ferdinand M. Gerlach spricht beim Ersatzkassenforum am heutigen Dienstag, 7. November, ab 16 Uhr in der Congresshalle Saarbrücken (Hafenstraße 12) zum Thema „Gesundheitspolitik nach der Wahl“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort