Rettungsdienst Kritik an Belastung im Rettungsdienst

Saarbrücken · Verdi fordert eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Für zusätzliche Diskussionen sorgt ein neuer Gesetzentwurf.

 Die rund 400 Notfallsanitäter, Rettungsassistenten und Rettungssanitäter werden seit Jahren immer öfter um Hilfe gerufen.

Die rund 400 Notfallsanitäter, Rettungsassistenten und Rettungssanitäter werden seit Jahren immer öfter um Hilfe gerufen.

Foto: dpa/Nicolas Armer

(dpa/SZ) Wenn in der Leitstelle auf dem Saarbrücker Winterberg ein Notruf eingeht, muss alles ganz schnell gehen. Bis der Rettungsdienst beim Patienten ist, dürfen vom Zeitpunkt des Anrufs an gerechnet maximal zwölf Minuten vergehen, so schreibt es das Gesetz vor – eine im Vergleich der Bundesländer extrem ambitionierte Vorgabe, die allerdings nicht immer eingehalten werden kann.

Die rund 400 Notfallsanitäter, Rettungsassistenten und Rettungssanitäter werden seit Jahren immer öfter um Hilfe gerufen. Seit 2010 hat der Zweckverband Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF) einen Anstieg der Einsätze um 23 Prozent registriert. 115 000 Mal mussten Rettungswagen im vergangenen Jahr ausrücken. Die Bevölkerung wird immer älter, es gibt immer mehr Alleinstehende, die Anonymität wächst, da wird schneller als früher die 112 gewählt.

Alles Entwicklungen, die auch Auswirkungen auf die Mitarbeiter des Rettungsdienstes haben. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert deshalb Entlastungen. „Die Belastungen der Beschäftigten steigen seit Jahren, da auch das Einsatzaufkommen jedes Jahr größer wird“, sagt Frank Fuchs, Vorsitzender der Verdi-Landesfachkommission Rettungsdienst im Landesbezirk Rheinland-Pfalz-Saarland. Deswegen verlange Verdi unter anderem eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeiten, die im Rettungsdienst in vielen Bereichen immer noch 47 Stunden pro Woche betrügen. Zudem sollten die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, mit Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Rettungsdienst auszuscheiden – so wie dies bei Polizei und Feuerwehr seit langem üblich sei.

Die Arbeitsbelastung der Beschäftigten im Rettungsdienst hatte auch der Linken-Abgeordnete Dennis Lander zum Thema einer Anfrage an die Landesregierung gemacht. „Viele Mitarbeiter stehen total unter Druck und hatten sich an uns gewandt“, sagte Lander. „Die Arbeitsbelastungen sind für sie mindestens genauso hoch wie bei der Polizei, deshalb wollten wir konkrete Zahlen zur Situation haben.“

Laut ZRF wurden 2016 insgesamt 6895 Überstunden und 22 196 Mehrarbeitsstunden geleistet. Ihnen stehen knapp 1,3 Millionen Personalstunden gegenüber. „Überstunden im Rettungsdienst können, wie auch in anderen Arbeitswelten, auf Grund von nicht planbaren Begebenheiten wie zum Beispiel unerwartetem Personalausfall oder nicht vorhersehbarem Arbeitsaufkommen nicht gänzlich ausgeschlossen werden“, teilte eine Sprecherin des Innenministeriums auf Nachfrage mit. „Dennoch werden die Ursachen für angefallene Überstunden analysiert, um bei entsprechenden Tendenzen rechtzeitig Maßnahmen zur Reduzierung oder Vermeidung einzuleiten.“

Der Antwort der Landesregierung auf Landers Anfrage ist zu entnehmen, dass das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz seit 2014 die Arbeitszeiten im Rettungsdienst und bei privaten Krankentransportunternehmen kontrolliert – und zwar auch „aufgrund zahlreicher Beschwerden seitens der Arbeitnehmer“. 2015 wurden demnach bei der Kontrolle eines Betreibers „zahlreiche Verstöße im Bereich der täglichen Arbeitszeit“ festgestellt; er habe daraufhin sein gesamtes Schichtsystem umgestellt.  Um welchen Betreiber es sich handelt, wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mitgeteilt.

Die Landesfachkommission von Verdi schaut mit Besorgnis in die Zukunft ihrer Beschäftigten und des Rettungsdienstes im Saarland – vor allem mit Blick auf das neue Rettungsdienstgesetz, in dem geplant sei, dass der Rettungsdienst im Saarland durch Ausschreibungen vergeben werden solle (was bisher nur in Ausnahmefällen passiert). „Es ist ungemein wichtig, dass darauf verzichtet wird“, sagt Fuchs. „Falls der Gesetzesentwurf in der vorliegenden Form umgesetzt wird, steigert dies den Druck auf die Beschäftigten erheblich, da der günstigste Anbieter bei der Vergabe des Rettungsdienstes die besten Chancen auf den Zuschlag hat. Und Kosten werden nach unserer Erfahrung immer zuerst bei den Beschäftigten eingespart.“ Das hätten auch die Erfahrungen aus anderen Bundesländern gezeigt.

Außerhalb des Saarlandes spielen längst private Anbieter im Rettungsdienst eine Rolle. Im Saarland werden 35 der 36 Rettungswachen vom Deutschen Roten Kreuz, vom Arbeiter-Samariter-Bund, dem Malteser-Hilfsdienst und den Feuerwehren in Saarbrücken und Neunkirchen betrieben. Seit 2015 haben auch die Privaten im saarländischen Rettungsdienst einen Fuß in der Tür: Die Homburger Firma Ambulanz Frisch übernahm damals die Wache in Beckingen-Erbringen, nachdem sie sich bei der Ausschreibung durchgesetzt hatte. Zwar gab es damals kritische Stimmen von Hilfsorganisationen, vereinzelt auch aus der Politik; doch bei den Landkreisen, die über den ZRF Träger des Rettungsdienstes sind, herrscht Zufriedenheit.

Größere Private stehen schon in den Startlöchern. Das internationale Unternehmen Falck zum Beispiel betreibt  bundesweit über 60 Wachen. Ein Unternehmenssprecher teilte der SZ bereits im Jahr 2015 mit: „Generell interessieren uns die Entwicklungen in allen Bundesländern.“ Ausschreibungen gewährleisteten nachhaltig Innovationen, Qualität und Wirtschaftlichkeit im saarländischen Rettungsdienst.

Unabhängig davon sind nach Darstellung von Verdi die Belastungen für die Mitarbeiter – vor allem für die Älteren – schon heute enorm. Eine Verdi-Erhebung von 2014 habe gezeigt, dass nur etwa 1,3 Prozent der Beschäftigten über 60 Jahre in der Lage seien, Einsatzdienst zu verrichten. Die Situation werde sich weiter zuspitzen. Denn durch die Altersstruktur der Belegschaften seien in den kommenden zehn bis 20 Jahren viele der jetzigen Mitarbeiter über 55 Jahre alt. „Sollte ein großer Teil dieser Beschäftigtengruppe aufgrund von Krankheit ausfallen, worauf die aktuellen Statistiken hindeuten“, so Verdi in der Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, „ist die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes gefährdet.“ Der Gesetzgeber solle Vorsorge treffen, damit keine Versorgungslücken entstünden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort