Kontrollzone Saarlouiser Altstadt

Saarlouis. Alle reden übers Komasaufen: 620 saarländische Jugendliche landeten 2007 mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus (bundesweit: 23 165). Doch die Polizei ist mit "Schnapsleichen" weit weniger intensiv beschäftigt als mit jungen "marodierenden" Alkohol-Sündern, die die Straße zur Kneipe erklären

Saarlouis. Alle reden übers Komasaufen: 620 saarländische Jugendliche landeten 2007 mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus (bundesweit: 23 165). Doch die Polizei ist mit "Schnapsleichen" weit weniger intensiv beschäftigt als mit jungen "marodierenden" Alkohol-Sündern, die die Straße zur Kneipe erklären. Sie werfen Scheiben ein (Sachbeschädigung), übergeben sich oder urinieren in Straßenecken (Ordnungswidrigkeit), prügeln sich mit Passanten oder beleidigen die Beamten (Straftat). Zudem hinterlassen sie Berge an Scherben und Müll.

Favorisierter Freitagabend-Tatort im Land: die Altstadt von Saarlouis. Die weist nicht nur eine weit höhere Kneipendichte auf als ihr Saarbrücker Pendant, hier liegen auch Schulen (10 000 Schüler) in unmittelbarer Fußläufigkeit. Sondervoraussetzungen für einen Sonder-Freiluft-Alkohol-Spaß, den die Stadtspitze und nicht zuletzt Wirte als bösen Spuk empfinden. Zahlungskräftige Kunden bleiben aus, samstag- und sonntagmorgens waten Bürger durch Glasreste und Unrat. Das soll aufhören - durch hartes Durchgreifen der Polizei. Laut Direktionschef Norbert Rupp ein "Jugendschutz-Programm". Bis zu 27 Kräfte - übliche Stärke: zehn - setzte Rupp seit Sommer an elf Freitagen ein, ließ Sonderstreifen gehen, auch in Zivil, um junge Leute mit zu hohem Alkohol-Pegel aufzuspüren. Das Ergebnis: 130 Platzverweise, zehn Strafanzeigen, 41 Bußgeld-Verfahren. 55 Kinder und Jugendliche (12 bis 18 Jahre) mit Alkohol im Blut wurden an ihre Eltern übergeben, nachdem sie ins Röhrchen gepustet hatten. Vier landeten in der Ausnüchterungszelle, weil keiner zu Hause war.

Alarmierende Zustände, gar Sicherheitsprobleme? Saarlouis, ein Brennpunkt? Rupp stellt klar: "Wir haben uns zum Brennpunkt gemacht." Zudem gehe es nicht um Gewalttaten, sondern um die Öffentliche Ordnung. Wobei - so Rupp auf Nachfrage - bislang noch keine abschreckende Wirkung eingetreten sei, die Zahl der jungen Schnapsseligen annähernd gleich geblieben sei. Rupp:"Wir wollen, dass die Eltern und Lehrer aufmerksam werden, dass man auch mal fragt: Was hast du da im Rucksack?" Denn die Kids holen sich ihren Rausch meist nicht in der Kneipe, das wäre zu teuer, sondern bringen ihren "Stoff" mit.

Dieses Verhalten brachte 2006 auch den "Heiligen Morgen" in Verruf. Stadt und Polizei entwickelten ein strenges Einlass-Kontrollsystem, riegelten am 24. die Altstadt ab. Seitdem ist Ruhe, auch bei Emmes und Altstadtfest. Erfolg, der sich kopieren lässt? Polizei-Sprecher Georg Himbert sieht dafür keinen Anlass. Aus keiner anderen Kommune sei Alarmierendes bekannt, selbst aus Saarbrücken nicht. Jörg Wagner, Stellvertretender Leiter des Polizeibezirks Saarbrücken-Stadt, erklärt dies mit unterschiedlichem Ausgehverhalten. Jugendliche seien zunehmend Nachtschwärmer, für die der St. Johanner Markt mit seinen Ausschank-Auflagen nach 22 Uhr an Attraktivität eingebüßt habe. Die Jugendlichen ziehe es zu Großraum-Veranstaltungen, in die "Kufa" oder ins "Nachtwerk", die es in Saarlouis so nicht gebe. Doch in den Discos würde beim Einlass geprüft, ob Getränke im Gepäck seien.

Die Notwendigkeit, das Saarlouiser Jugendschutz-Modell flächendeckend auf andere Städte zu übertragen, sieht das Präventionsministerium nicht. Dies müsse vor Ort entschieden werden, teilt man auf SZ-Nachfrage mit. Die Saarlouiser Aktion wird jedoch ausdrücklich für "sinnvoll" erklärt. Grundsätzlich positiv äußert sich auch die Suchtexpertin Dr. Karin Berty, Mitglied der Aktionsgemeinschaft Drogenberatung e.V. (Saarbrücken): "Jugendliche fühlen sich oft ignoriert. Es ist wichtig, wenn Erwachsene hinschauen." Andererseits seien Polizei-Kontrollen und Sanktionen allein nicht ausreichend. Das "Abpflücken" müsse mit Hilfsangeboten gekoppelt werden, etwa mit Adress-Informationen über Beratungsstellen. "Eltern sind meist überfordert. Sie neigen zur Dramatisierung oder zur Verharmlosung." "Wir wollen, dass Eltern und Lehrer aufmerksam werden."

Norbert Rupp, Leiter der Polizeidienststelle Saarlouis

Meinung

Vorbildlich - und noch optimierbar

Von SZ-Redakteurin

Cathrin Elss-Seringhaus

Das Über-die-Stränge-Schlagen gehört zum Erwachsenwerden. Wer wollte es der Jugend krumm nehmen? Wir alle. Weil zwischen Beschwipst- und Besoffensein die Grenze der Öffentlichen Ordnung verläuft. Letztere ist ein hohes Gut. Dies lässt sich am Besten dadurch vermitteln, indem man ihre Regeln offensiv vermittelt. Vor diesem Hintergrund darf die Saarlouiser Aktion als vorbildlich gelten. Hier wird das geleistet, was andernorts - unabhängig von jungen Trinkfans - ebenfalls wünschenswert wäre: mehr Schutz in den nächtlichen Innenstädten. Andererseits verbietet es sich, für ruhige Kommunen Probleme herbeizureden, die es in Extrem-Form tatsächlich wohl nur in Saarlouis gibt. Wie lange noch? Sollte die Prognose zutreffen, dass die Suchtgefährdung von Jugendlichen explodiert, wird das Saarlouiser Modell wohl schon bald kopiert. Allerdings sollte man dann eine optimierte Version wählen: Kontrolle plus Hilfe.

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