Keine Klageschrift gegen Ex-Nazis im Landtag

Saarbrücken · Nur wenige Abgeordnete im Saar-Landtag haben nach 1955 ihre NS-Vergangenheit offengelegt. Eine neue Untersuchung im Auftrag der Linken bringt Licht ins Dunkel. Sie soll aber keine Anklage sein.

. Saar-Linksfraktionschef Oskar Lafontaine hat bei der offiziellen Vorstellung der 23-Seiten-Broschüre "Braune Spuren im Saar-Landtag. Die NS-Vergangenheit saarländischer Abgeordneter" am Mittwoch betont, dass es sich nicht um eine Anklageschrift handele. "Das wäre ein ziemlich sinnloses Unterfangen, viele sind ja schon tot", sagte Lafontaine vor Journalisten im Landtag. Lafontaine, der selbst 1970 für die SPD erstmals in den Saar-Landtag eingezogen war und dort mit 13 ehemaligen NSDAP-Mitgliedern zusammensaß, nahm die Abgeordneten ausdrücklich in Schutz, die in sehr jungen Jahren Parteigenossen geworden waren. "Friedel Regitz, der SPD-Fraktionschef (von den 50er bis zu den 70er Jahren, d. Red.), war schon als 17-Jähriger in die NSDAP eingetreten, quasi direkt aus der Hitlerjugend", sagte Lafontaine. Die Jugendlichen seien damals in ihren Wertvorstellungen sehr von den Erwachsenen geprägt worden. Anders verhalte es sich aber mit ehemaligen Nationalsozialisten, die schon früh, also vor der "Heim ins Reich"-Abstimmung 1935, im Saarland der Hitler-Partei beigetreten waren. "Die hätten ihre Biografie offenlegen müssen", so Lafontaine.

Der Oldenburger Historiker Hans-Peter Klausch hat in der Broschüre der Linkspartei dargelegt, dass die späteren Politiker von CDU, FDP, SPD oder CVP im Landtagshandbuch ihre politische Vergangenheit im Terrorstaat der Nazis nicht erwähnten. Nur bei zwei FDP-Politikern, bei denen es ohnehin jeder im Saarland wusste wie bei Heinrich Schneider, war die NSDAP-Mitgliedschaft im Landtagshandbuch verzeichnet.

Lafontaine stellte fest, dass mit knapp 25 Prozent Ex-Nazi-Parteimitgliedern im Landtag der Anteil höher gewesen sei als in der Gesamtbevölkerung des Dritten Reichs, da der Diktator Adolf Hitler die Zahl der Parteigenossen auf zehn Prozent des deutschen Volkes gedeckelt habe. Lafontaine nahm auch den langjährigen CDU-Ministerpräsidenten Franz Josef Röder in Schutz, der schon früh, nämlich 1933, in die NSDAP eingetreten war. Röders Vater habe als katholischer Widerständler seine Arbeitsstelle verloren und Röders Bruder sei in Schutzhaft gekommen. Der NSDAP-Beitritt Röders sei nur erklärlich, da die katholische Kirche 1933 ein Reichskonkordat mit Hitler-Deutschland geschlossen habe. Da hätten dann beim Lehrer Röder Karrieregründe den Ausschlag gegeben, so Lafontaine, der sein enges persönliches Verhältnis zu Röder in den 70er Jahren hervorhob.

Die katholische Kirche habe im vergangenen Jahrhundert im Saarland noch die höchste Autorität gehabt. "Auch deshalb ist es mir wichtig zu sagen, dass wegen der Haltung der Kirche die Saarländer nicht angehalten waren, auf Distanz zur NSDAP zu gehen", sagte Lafontaine.

Die Saar-Linksfraktion habe die Broschüre aufgelegt, nachdem Linksfraktionen in den Landtagen von Niedersachsen und Hessen bereits ähnliche Studien vorlegt hätten. Lafontaine will nun Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) anbieten, die Hefte als Unterrichtsmaterial an die Schulen gelangen zu lassen. Zudem werde die Studie ins Internet gestellt. Ob nun die übrigen vier Landtagsfraktionen sich engagieren, eine tiefer gehende historische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ehemaliger Landtagsabgeordneter in Gang zu setzen, wie es in anderen Landtagen auch der Fall war, ist offen. "Wenn die Fraktionen das wollen, sind wir mit dabei", sagte Lafontaine.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort