Frauengefängnis Justiz trennt Mutter und Kind

Zweibrücken/Neunkirchen · Eine Gefangene aus dem Saarland musste ihr Baby direkt nach der Geburt abgeben. Ihr Anwalt kämpft für eine Haftunterbrechung.

 Sabrina L. verbüßt ihre Strafe in der JVA Zweibrücken.

Sabrina L. verbüßt ihre Strafe in der JVA Zweibrücken.

Foto: Lutz Fröhlich

Sind das Szenen wie in einem schlechten Film? 26. September: Eine Hochschwangere wird in Polizeibegleitung aus einer Haftanstalt in die Klinik Homburg gebracht, zur Entbindung. 24 Stunden darf Sabrina L. (35) ihren Sohn Luca wiegen und herzen. Dann, am ersten Tag nach der Geburt, wird ihr das Kind weggenommen. Man transportiert sie zurück in die Haftanstalt Zweibrücken. Luca landet in einer Pflegefamilie. Seitdem hat Sabrina ihr Kind nur noch einmal gesehen, zwei Stunden lang. Das erzählt Bruno T. (24, Name geändert), seit fünf Jahren ihr Lebensgefährte und Vater von Luca. Er hat ihn zu einem Regelbesuch mit ins Gefängnis gebracht, in Begleitung von Jugendamts-Mitarbeitern, die, so schildert Bruno T. die bedrückende Situation, bei der Begegnung anwesend blieben. Dafür musste der Vater zuvor einen Antrag stellen. Direkten Kontakt zu Luca gibt es für ihn nicht. So fühlt sich auch Bruno T. bestohlen.

Seine Partnerin Sabrina ist das, was man eine klassische Kleinkriminelle nennt: drogenabhängig, durch Beschaffungskriminalität wie Diebstahl und Betrug mehrfach aufgefallen. Sie wurde in unterschiedlichen Prozessen zu drei kürzeren Haftstrafen verurteilt, die sich insgesamt auf 19 Monate summieren. Bis 9. Februar 2019 muss sie einsitzen.

Im Mai dieses Jahres ist Sabrina eingerückt, bereits schwanger. In Zweibrücken, wo sie wie 41 weitere Saarländerinnen ihre Strafe verbüßt. Offensichtlich hat Sabrina jeden Optimismus verloren. Bruno T. sagt: „Sie heult sich die Augen aus, sie dreht fast durch. Sie ist eigentlich stark, aber so kenne ich sie nicht.“

Bruno T. würde Luca gerne selbst betreuen. Doch das Jugendamt, sagt der Vater, hielte ihn „emotional nicht für stabil genug“. Dabei erziehe er  doch auch den erstgeborenen gemeinsamen Sohn Collin (2) jetzt allein. Bruno T. ist in den Haushalt seiner Mutter in Ottweiler gezogen. Er ist Fliesenleger, arbeitslos. Solide Familienverhältnisse? Bruno T. sagt, Sabrina L. verkrafte die Trennung von Collin „gerade noch so“, weil sie das Kind bei ihm, dem Vater, wisse. „Aber dass Luca aufwächst, ohne seine Eltern zu kennen, das kann sie nicht ertragen.“

Für den Saarbrücker Anwalt Fred Valentin, der Sabrina L. vertritt, ist all das unfassbar, ja unmenschlich. In seinen Schreiben an die Staatsanwaltschaft und die Gerichte tauchen ungewöhnlich emotionale Formulierungen auf: Er, Valentin, schäme sich „persönlich“ dafür, dass „in unserem Land so etwas geschieht“, und er fühle sich an Zeiten erinnert, „die in der Bundesrepublik Deutschland längst überwunden sind“ oder an Regime, in die er „üblicherweise keinen Fuß zu setzen“ pflege.

Die Türkei kann damit nicht gemeint sein. Zur Überraschung der Öffentlichkeit wurde durch den Fall der deutschen Journalistin Mesale Tolu, die mit ihrem zweijährigen Sohn gemeinsam hinter Gittern sitzt, publik, dass es in der vermeintlich reaktionären Türkei üblich ist, Mütter zusammen mit ihren Kindern in Haftanstalten unterzubringen; fast 600 Kinder sollen es sein. In Deutschland gibt es nur zehn Einrichtungen, die eine solche Unterbringung vorsehen.

Das Saarland hat nicht mal einen eigenen Frauenvollzug, bringt die weiblichen Gefangenen in Zweibrücken unter. Doch auch in ganz Rheinland-Pfalz gibt es keine Mutter-Kind-Haftunterbringung im geschlossenen Vollzug. Den Frauen bleibt nur die Möglichkeit einer Verlegung nach Hessen, in die Spezialeinrichtung „Frankfurt III“. Dort werden Kinder, die nicht älter als drei Jahre alt sind, mit betreut.  Doch die Frankfurter Wartelisten sind lang. Das erfuhr auch Sabrina L. in Zweibrücken und entschied sich mit ihrem Anwalt für einen anderen Weg: Valentin beantragte eine sechsmonatige Haftunterbrechung. Doch die wurde am 20. September durch die Staatsanwaltschaft Saarbrücken abgelehnt. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid hat das zuständige Amtsgericht in St. Wendel laut Valentin nicht beantwortet. „Diese lange Wartezeit ist unverantwortlich“, sagt er. „Jede Stelle verhält sich korrekt, nach Recht und Gesetz, aber das genügt hier nicht.“

Und es sind viele Stellen, die im Fall einer saarländischen Inhaftierten, die Kleinkinder zu betreuen hat, mitmischen: Hiesige Richter, die Zweibrücker Justizvollzugsanstalt, das zuständige Jugendamt, die Justizministerien beider Bundesländer.  Die Staatsanwaltschaft argumentiert auf SZ-Nachfrage im Fall Sabrina L. wie folgt: Schwangerschaft  sei keine Krankheit und also kein hinreichender Grund für eine Haftunterbrechung. Auch regele Paragraph 21 der Landesjustizvollzugsordnung Rheinland-Pfalz die Aufnahme von Müttern mit Kindern in der Justizvollzugsanstalt, „so dass von einer zwingenden Trennung keine Rede sein kann“. Die JVA Zweibrücken habe dargelegt, dass „der gesetzlich vorgesehene Standard“ gewährleistet sei. Was immer das bedeutet. Weitere Auskünfte dazu gab es nicht.

Bei Sabrina L. wurde das Neunkircher Jugendamt von den Justizbehörden involviert. Offensichtlich befürchtete man, dass die Betreuung des Kindes nicht sichergestellt sei. Gründe dafür unterliegen der Schweigepflicht. Aber mutmaßlich hatte Bruno T., um die Dringlichkeit einer Haftunterbrechung für die Mutter zu unterstreichen, vor der Geburt von Luca Andeutungen gemacht, er fühle sich der Sache nicht gewachsen. Mittlerweile sieht er das anders. Am Dienstag sagte er der SZ, er werde auf die Herausgabe des Kindes drängen, eventuell sogar klagen.

Ist Luca bei den Pflegeeltern besser aufgehoben als bei seinem leiblichen Vater? Wie die Pressestelle des Landkreises Neunkirchen mitteilt, werden bei Inhaftierten  wie Sabrina L. „im Sinne des Kindeswohls (…) mit den Sorgeberechtigten und dem zuständigen Familiengericht“ Lösungen für die Betreuungssituation gesucht. Aus dem Justizministerium des Saarlandes kommt die Auskunft,  man habe in Rheinland-Pfalz nun doch eine andere Lösung im Auge. Es solle „zeitnah eine vollzugsinterne Verlegung stattfinden, die einen Tagesumgang mit dem Kind durch die betroffene Mutter ermöglicht. Im Übrigen wurde eine familieninterne Lösung für die weitere Kindesbetreuung gefunden.“ Was das bedeutet, dazu wieder keine Auskunft.

Alles wird gut? Selbst die Forschung weiß keinen generellen Rat, ob eine Unterbringung bei Pflegefamilien oder bei der  inhaftierten Mutter dem Kind eher gerecht wird. Es geht um Einzelfallentscheidungen. Schwere für Behörden, Herz zerreißende für Eltern, Existenz bestimmende für Kinder wie Luca.

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