Interview mit Ilhan Ilkilic „Wir brauchen mehr Offenheit und Sensibilität“

Völklingen · Der Mediziner spricht über Kommunikationsprobleme im Krankenhaus und fordert mehr Programme und Dolmetscher. Morgen referiert er in Völklingen.

 Ilhan Ilkilic ist morgen beim Saarländischen Ethiktag in Völklingen zu Gast.  Foto: Reiner Zensen

Ilhan Ilkilic ist morgen beim Saarländischen Ethiktag in Völklingen zu Gast. Foto: Reiner Zensen

Foto: Reiner Zensen

Interkulturelle Herausforderungen im Krankenhaus – so lautet das Thema beim fünften Saarländischen Ethiktag am Samstag, 16. Februar, in Völklingen. Hauptreferent ist Professor Ilhan Ilkilic, der seit den 90er Jahren zu diesem Thema forscht. Der 52-jährige Mediziner und Philosoph lehrt an der Universität Istanbul und ist Mitglied im Deutschen Ethikrat. Im SZ-Interview beklagt er, dass Interkulturalität in der Ausbildung im Gesundheitssystem kaum eine Rolle spielt.

Was verstehen Sie unter interkulturellen Herausforderungen im Krankenhaus?

ILKILIC Nach jüngsten Untersuchungen haben 23 Prozent der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund. In vielen Krankenhäusern liegt der Anteil der Patienten mit Migrationshintergrund sogar bei 30 bis 50 Prozent. Außerdem steigt der Anteil der Krankenhaus-Mitarbeiter, die aus anderen Ländern stammen. So treffen dann täglich Patienten und Behandler aus unterschiedlichen Kulturkreisen aufeinander. Das ist nicht immer einfach, allein schon wegen der Verständigung, aber auch wegen unterschiedlichen Wertvorstellungen und religiösen Praktiken. Sind Ärzte dafür nicht sensibilisiert, entstehen Konflikte. Für eine erfolgreiche medizinische Behandlung ist das äußerst problematisch.

Sind die Krankenhäuser auf diese Herausforderungen eingestellt?

ILKILIC Leider nicht. Das liegt daran, dass Interkulturalität in der Ausbildung im Gesundheitssystem kaum eine Rolle spielt. Im Medizinstudium kommt das Thema Kultur überhaupt nicht vor – es sei denn, ein Dozent denkt, das Thema ist wichtig. Dann hält er dazu eine Vorlesung. Es ist aber keine Pflichtveranstaltung. Das ist sehr bedauerlich. In der Krankenschwester- und Pflegerausbildung ist die Situation nicht besser. In bestimmten Programmen wird das Thema zwar in ein paar Stunden behandelt, aber die Frage ist, ob das ausreicht. Ich bezweifle das.

Was muss sich ändern?

ILKILIC Wir brauchen mehr Offenheit und Sensibilität für das Thema. Dazu gehört übrigens auch, dass im Krankenhaus-Alltag Stereotypisierungen vermieden werden. Es gibt nicht „den“ türkischen Patienten, wie es auch nicht „den“ deutschen oder „den“ französischen Patienten gibt.

Was muss noch anders werden?

ILKILIC Wir müssen Projekte und Programme entwickeln, mit denen Kommunikationsprobleme minimiert werden. Das Thema muss fester Bestandteil der Ausbildung sein. Wichtig ist aber auch, dass es in der Praxis stärker kommuniziert wird. Darüber hinaus muss sich etwas im Dolmetscher-Bereich tun. Da gibt es in Deutschland kein flächendeckendes professionelles Angebot in den Krankenhäusern. In der Regel übersetzen Patientenangehörige. Das kann aber zu Missverständnissen führen. Vor allem, wenn die Angehörigen die Wortbeiträge der Ärzte zensieren oder verändern. Dadurch entsteht nicht nur ein ethisches, sondern auch ein juristisches Problem. Das heißt: Der behandelnde Arzt ist dann seiner Behandlungspflicht nicht nachgekommen.

Wer ist gefordert, um das alles zu verändern?

ILKILIC Um Verbesserungen zu erreichen, braucht es viele Akteure, nicht nur im Gesundheitssystem, auch in der Politik. Und die Patienten können ebenfalls einen Anteil dazu leisten. Dazu gehört es, dass sie die Sprache zumindest so gut beherrschen, dass einfache Gespräche möglich sind. Gut wäre außerdem, wenn sie lernen, wie das Gesundheitssystem in Deutschland funktioniert.

Sie lehren seit 2013 an der Universität Istanbul Medizingeschichte und Ethik. Wie ist es für Sie, in der Türkei unter den derzeitigen gesellschaftspolitischen Bedingungen zu arbeiten?

ILKILIC In meiner wissenschaftlichen Arbeit sehe ich keine Einschränkungen. Ich fühle mich frei, kann forschen, publizieren und Kollegen aus dem Ausland einladen, zum Beispiel zu Tagungen. In den Monaten nach dem Militärputschversuch in der Türkei im Juli 2016 war das noch anders. Da war es schwer, europäische Kollegen einzuladen, weil sie große Bedenken wegen der politischen Lage hatten.

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