"Ich bin hier glücklich"

Limbach. Die kleine Mathilde war gerade zwei Jahre alt, da holte man sie aus dem Mittagsschlaf, denn es sollte ein Foto gemacht werden. Und zwar vor dem Elternhaus des kleinen Mädchens in der damaligen Limbacher Hindenburgstraße 45. Bis heute hat Mathilde Gothe das Foto aufgehoben: "Ich gucke da so mürrisch, weil ich noch müde war", erklärt sie

Limbach. Die kleine Mathilde war gerade zwei Jahre alt, da holte man sie aus dem Mittagsschlaf, denn es sollte ein Foto gemacht werden. Und zwar vor dem Elternhaus des kleinen Mädchens in der damaligen Limbacher Hindenburgstraße 45. Bis heute hat Mathilde Gothe das Foto aufgehoben: "Ich gucke da so mürrisch, weil ich noch müde war", erklärt sie.Die Tante trägt die Kleine auf dem Arm, daneben stehen zwei Bekannte aus der Nachbarschaft. Aber worauf es Mathilde Gothe ankommt: "Da hinten, das ist unser Haus, so sah das damals aus, bevor wir es in den 30er Jahren aufgestockt und komplett umgebaut haben."

Das Elternhaus der heute 89-jährigen Limbacherin stammt aus dem Jahr 1822 und wurde von Johann Jacob Schneider erbaut. 1832 kauften es Christian Brill und seine Frau Johannetta, geborene Hock, später folgten weitere Familienmitglieder, bis es 1911 in den Besitz von Jakob Brill und Margarethe Hamm überging, die Großeltern von Mathilde Gothe: "Meine Großeltern bauten das Haus erstmals um, sie erweiterten es an der Seite und bauten auch hinten ein Stück an."

Eine der Töchter von Jakob Brill, Margarethe Russy, übernahm ihr Elternhaus im Jahr 1931, da war ihre Tochter Mathilde Gothe bereits acht Jahre alt und mit ihrer Umgebung und ihrem Elternhaus verbunden. "Wir hatten eine wunderschöne Kindheit", erinnert sich die alte Dame, "wir spielten den ganzen Tag draußen, wir bastelten Bälle aus alten Lumpen, wir versteckten uns in den Scheunen und rannten um die Bäume herum. Es fuhren ja keine Autos wie heute, wir konnten draußen herumlaufen, wie wir wollten."

Eine so wunderbare Jugend wie damals im dörflichen Limbach, die komme nicht wieder, sagt Mathilde Gothe, "mir tun die Kinder heute oft leid, die haben ja gar keinen Auslauf mehr." Allerdings war es mit der unbeschwerten Kindheit bald vorbei, denn der Krieg kündigte sich an und damit auch ein grundlegender Wandel im Elternhaus von Mathilde: Die Post eröffnete 1937 ein Büro im Haus - und mit dieser Poststelle hielt das erste öffentliche Telefon Einzug in Limbach.

"Viele ältere Leute in Limbach erinnern sich noch an die Poststelle", sagt Mathilde Gothe, "die Post war immerhin bis 1964 hier in meinem Haus beheimatet." Die Familie lebte nicht ganz ungefährlich mit diesem Mieter: 1959 wurde ins Postbüro eingebrochen.

"Meine Großmutter und meine Mutter schliefen nebenan fest und hörten nichts. Noch nicht mal unser Hund schlug an." Die Diebe erbeuteten rund 300 Mark in gerollten Münzen und wurden nie gefunden.

Doch was war das schon im Vergleich zu den schlimmen Kriegsjahren, sagt Mathilde Gothe. Sie war 1942 als "Postmädchen" zum Arbeitsdienst nach Homburg beordert worden, wo sie im Fernamt an damals 600 Telefonen vermitteln und stöpseln musste. "Wir waren 30 Frauen abwechselnd im Dienst, nachts, an Sonn- und Feiertagen, manchmal auch 48 Stunden am Stück."

Oft radelte Mathilde schon um vier Uhr morgens von Limbach nach Homburg. 1950 hat sie geheiratet, "da gab ich vorerst meine Arbeit auf."

Ihre beiden Kinder wuchsen ebenfalls im Elternhaus auf, das nun nicht mehr in der Hindenburg, sondern in der umbenannten Hauptstraße stand und die Nummer 48 erhalten hatte. 1972 bauten Mathilde Gothe und ihr Mann das Haus erneut um, es bekam vier große Fenster zur Straße, der Eingang zur ehemaligen Post wurde endgültig zugemauert.

Kürzlich wurde das Haus in einer schönen hellen Farbe verputzt, der Sohn von Mathilde Gothe wohnt mit seiner Frau seit einigen Jahren wieder im Elternhaus und hat sich dahinter einen wunderbaren Garten mit einem großen Fischteich angelegt.

"Ich bin hier glücklich", sagt Mathilde Gothe, "ich wohne noch immer in meinem Elternhaus, mein Sohn und meine Schwiegertochter fühlen sich hier auch wohl und kümmern sich um mich." So lebt das alte Limbacher Haus aus dem Jahr 1822 auch in der nächsten Generation munter weiter.

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