Protest in Lothringen Gelbwesten trotzen Macron und der Kälte
St. Avold · In Lothringen haben die Protestler am Samstag erneut Mautstellen und den Grenzübergang Goldene Bremm nach Saarbrücken blockiert.
Am 17. November, als die Gelbwesten in Frankreich zum „Akt I“, zum ersten Aktionssamstag, aufriefen, hat sich auch Wilfried W. das fluoreszierende Kleidungsstück übergestreift. Seitdem steht der pensionierte Chemiearbeiter jeden Tag am Kreisel, dort am Ortsausgang, wo die St. Avolder in einem der vielen Supermärkte einkaufen und die Lkw durchfahren, Richtung Longeville und Metz. „Man nimmt den Rentnern immer mehr Geld weg und die Reichen bekommen immer mehr dazu, das kann nicht so weitergehen“, sagt er. „Wir brauchen soziale Gerechtigkeit.“
Selbst die Schneeflocken konnten ihn und seine Mitstreiter am Samstag, dem inzwischen achten Aktionstag der Bewegung, nicht abschrecken, sich ab acht Uhr in der Früh am Kreisel die Beine in den Bauch zu stehen. Um zu zeigen, dass sie wütend auf die Regierung sind. 250 seien sie um acht Uhr gewesen, sagt Wilfried W. Dann hätte man sich verteilt. 80 seien mit dem Bus zur zentralen Lothringen-Demo in Epinal gefahren, eine Gruppe fuhr mit Autos zur Goldenen Bremm, um dort die Autobahn für Lkw zu sperren, eine andere zog es in die Gegenrichtung, zur Mautstelle bei Carling.
Rund 40 bis 50, vornehmlich Männer, halten mit Wilfried W. derweil am Kreisel die Stellung. Einige stehen direkt auf dem Bürgersteig und füttern das Feuer aus Europaletten, das mehr qualmt als es wärmt. Andere diskutieren in kleinen Gruppen auf dem etwas tiefer liegenden Parkplatz, von dem der Supermarkt den Gelbwesten einen Teil überlässt. „Wir bekommen viel Unterstützung von kleinen Unternehmen“, sagt Wilfried. Als ihr selbstgebauter Holzunterstand hier vor kurzem von Unbekannten abgefackelt wurde, stellte ihnen ein Unternehmer am nächsten Tag einen Bauarbeiter-Container auf den Platz. Auch die Partyzelte samt Tischen und alter Wohnzimmerstühle sind gespendet. „Manchmal halten hier irgendwelche Leute mit dem Auto nur kurz an, um uns Getränke und Kuchen zu bringen“, sagt Wilfried W.
Die Zugeständnisse in Form des Zehn-Milliarden-Euro-Pakets, die Präsident Macron vor kurzem machte, sind auch für die Gelbwesten in St. Avold kein Grund, mit dem Protest aufzuhören. „Das ist doch nur viel Wind, aber wenig für die Leute“, winkt Wilfried W. ab.
Die 100-Euro-Aufbesserung für den Mindestlohn, den SMIC, sei ja keine Lohnerhöhung, sondern nur eine Prämie, die nur wenige und nicht alle, die den Mindestlohn haben, bekämen. Auch von der angekündigten großen nationalen Debatte halten sie nichts. Da kämen dann wieder nur Leute mit weißem Hemd und Schlips zu Wort, die Diskutanten würden ja ausgewählt, die Gelbwesten dürften garantiert nicht mitreden. Deshalb würden sie weitermachen, bis zum Ende, „bis unsere Ziele erreicht sind“, sagt Wilfried W.
Welches ihre wichtigsten Ziele seien? Für die Gelbwesten insgesamt könne man das nicht so genau sagen, da sie ja bewusst keine Dachorganisation hätten. „Und ob bekannte Gelbwesten, die immer im Fernsehen sind wie Eric Drouet, unserer Meinung sind, wissen wir selbst nicht“, räumt der St. Avolder ein. Aber ihnen hier sei am wichtigsten, dass jeder eine Lohnerhöhung bekomme, dass man die Besteuerung der Rentner zurücknehme und die Vermögenssteuer wieder einführe, sagt der Rentner.
Die Behauptung des Regierungssprechers vor ein paar Tagen, die Gelbwesten, die jetzt noch protestierten, seinen von Agitatoren gesteuerte Extremisten, macht Wilfried W. wütend. „Sehe ich aus wie ein Extremist? Wir sind alle friedliche Leute, Familienväter und Opas.“
Oben am Kreisel hupen Fahrer der durchfahrenden Lkw freundlich zur Aufmunterung. Hier kämen viele deutsche Lastwagenfahrer vorbei, mit denen er diskutiert habe, erzählt Wilfried, der durch seine Ensdorfer Mutter und Saarbrücker Lebensgefährtin gut Deutsch kann. „Die Fahrer haben immer gesagt: Gut so – bei uns wäre das nicht möglich!“
Auch an der Mautstelle auf der A 320 bei St. Avold, nahe der Chemieplattform Carling, hupen die Fahrer der endlosen Reihe Lkw freundlich und winken zustimmend. Kein Wunder. Denn rund 50 Gelbwesten haben hier an diesem Morgen die Schranken hochgestellt und lassen alle gebührenfrei passieren.
„Es bringt nichts, an den Kreiseln zu stehen. Man muss Aktionen machen und das hier ist eine schöne Aktion“, sagt eine 50-jährige Gelbwesten-Trägerin. In ihrer Familie hätten zwar alle Arbeit, auch die beiden erwachsenen Kinder, aber sie habe so viele Menschen erlebt, die am Monatsende kein Geld mehr haben oder in Mülleimern nach Essbarem suchen müssten, für die gehe sie auf die Straße.
Er habe allein durch die Besteuerung für Rentner jetzt pro Jahr 600 Euro weniger, zusammen mit dem Kaufkraftverlust durch andere Steuern mache das 2000 Euro weniger in zwei Jahren aus, klagt ein Forbacher. Wie viele hier an der Mautstelle demonstriert er auch für die Einführung einer Gesetzesinitiative per Volksabstimmung. Doch man ist skeptisch, ob Macron bereit sein wird, die Bürger mitreden zu lassen und etwas zu ändern. Denn er habe ja gesagt, er weiche von der eingeschlagenen Richtung nicht ab.
Auch den Medien trauen sie nicht mehr so wirklich. Dass nur 30 000 Gelbwesten frankreichweit sich am Wochenende beteiligt hätten und dass die Bewegung abflaue, das stimme nicht.
Bevor die Polizei, wie angedroht, gleich kommt und abräumen lässt, ziehen die Gelbwesten nun nach einer Stunde von der Mautstelle wieder um an den Kreisel. Hier werden sie nicht nachlassen. Auch wenn sich später am Nachmittag Geschäftsleute über die Blockade beschweren und die Polizei einschreitet und die Feuer löscht. In zwei Wochen, sagt die 50-Jährige, würden die Gelbwesten aus ganz Lothringen zur zentralen Demo nach St. Avold kommen.