Geht es gar nicht um Gewaltverbrechen?

Ziemlich sauer startete Oberbürgermeisterin Charlotte Britz am Montag in die Woche. "Wir brauchen mehr Polizisten auf der Straße. Mehr Video-Überwachung alleine reicht nicht. Kameras können Polizisten auf der Straße niemals ersetzen", wetterte Britz und reagierte damit auf eine Ankündigung von Innenminister Klaus Bouillon vom Freitag letzter Woche. Da hatte der Minister erklärt, dass er in Saarbrücken Video-Kameras aufhängen lassen will: 20 am Bahnhofsvorplatz, bis zu zehn an der Johanneskirche. Ziel: Schutz vor Terror und Gewalttaten - hieß es (wir berichteten). Die SZ schaute nach, wie oft die Polizei in den letzten 20 Jahren Gewalttaten vom Bahnhofsplatz und von der Johanneskirche gemeldet hat. Ergebnis: rund 15 Schlägereien und Messerstechereien vom Bahnhof, 5 Verbrechen, darunter eine schwere Körperverletzung von der Johanneskirche - in rund 20 Jahren. Bereits im August 2015 und erneut im Oktober 2016 hat die SZ eine Liste von 15 schockierenden Gewaltverbrechen aus der Bahnhofstraße veröffentlicht, verübt in den letzten 20 Jahren, darunter Massenschlägereien und Messerstechereien mit lebensgefährlich verletzten Polizisten , Angriffe auf Frauen und behinderte Senioren am hellen Tag. Und diese SZ-Liste bot nur eine Auswahl der schlimmsten Gewalttaten aus der Bahnhofstraße. Trotzdem will das Ministerium dort keine Kameras - sondern an der Johanneskirche. Dafür sind zwei Erklärungen möglich. Erstens: An der Johanneskirche gab es weit mehr Gewalttaten als in der Bahnhofstraße, aber die Polizei hat das 20 Jahre lang verschwiegen. Klingt unwahrscheinlich. Zweitens: An der Johanneskirche geht es gar nicht darum, Gewaltverbrechen aufzuklären - sondern vor allem um die Beobachtung von drogenkranken Dealern (sehr unangenehme Leute), die anderen Drogenkranken Stoff verkaufen. Der Chef des Landeskriminalamtes, Harald Schnur, hatte Bouillons Pläne begrüßt und erklärt, mit Video-Kameras an der Johanneskirche könne die Polizei feststellen, "wer mit wem kommuniziert und wer die Hintermänner sind" (SZ vom 5. November). - Soll das heißen, an der Johanneskirche latschen Typen wie El Chapo und ihre deutschen Statthalter einfach ins Blickfeld von Kameras und wickeln dort ihre Drogendeals ab? Zweifel sind erlaubt. Fest steht aber: Fast alle Kriminellen, die in der City ein Verbrechen begehen, flüchten in die Bahnhofstraße, um dort im Getümmel unterzutauchen (die SZ berichtete mehrfach). In Kürze wollen sich Britz und Bouillon treffen und über das Video-Projekt reden. Hoffentlich lesen sie sich vorher nochmal die SZ-Liste der Gewalttaten aus der Bahnhofstraße durch (SZ vom 17. Oktober).

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