Gebauter Führungsanspruch

Saarbrücken. Ein Rathausturm formuliert seit dem 14. Jahrhundert, buchstäblich in Stein gemeißelt, den Anspruch einer Stadt und des sie tragenden Bürgertums auf Selbstständigkeit gegenüber der weltlichen und geistlichen Obrigkeit. Das galt unvermindert, als die Stadt St. Johann den Münchner Architekten Georg Hauberrisser mit dem Bau ihres Rathauses beauftragte

Saarbrücken. Ein Rathausturm formuliert seit dem 14. Jahrhundert, buchstäblich in Stein gemeißelt, den Anspruch einer Stadt und des sie tragenden Bürgertums auf Selbstständigkeit gegenüber der weltlichen und geistlichen Obrigkeit. Das galt unvermindert, als die Stadt St. Johann den Münchner Architekten Georg Hauberrisser mit dem Bau ihres Rathauses beauftragte. Der hatte bereits das Münchner Rathaus gebaut, an dessen Vorbild er seinen Saarbrücker Auftrag orientierte. Über die mit dem Neubau verbundene Absicht ließ der damalige Bürgermeister Paul Neff bei der Grundsteinlegung 1897 keinen Zweifel. Das 1900 eingeweihte Rathaus solle den "glücklichen Aufschwung der Stadt" verkünden. Ein Turm, "das war der gebaute Führungsanspruch", sagt Irmgard Christa Becker, Leiterin der Stadtarchivs der Landeshauptstadt. Dementsprechend eindeutig war die von dem Turm ausgehende Botschaft, erinnert sie: "Wir sind hier im Saartal die führende Stadt." Das war die Botschaft und "der erhobene Zeigefinger der Stadt St. Johann", so Irmgard Becker. Seine Heroldfunktion kam dem 1934 eingebauten Glockenspiel zupass. Im Vorfeld der Saarabstimmung schallten vom Turm aus das "Deutschlandlied" und das "Saarlied" ins Saartal. Stadt- und Machtpolitik macht man heute mit anderen Mitteln. Der Turm bleibt ein vielzitiertes Alleinstellungsmerkmal, das die Besonderheit der Stadt Saarbrücken ausmacht. Das ist ein klarer Fall für Tourismus und Stadtmarketing getreu dem Motto: "Führungsanspruch für alle!" Denn die Stadt plant, den Turm öffentlich zugänglich zu machen. Im vergangenen Frühjahr stiegen in einer bislang "einmaligen Aktion", so Kulturdezernent Erik Schrader, Besucher die 238 Stufen der Wendeltreppe nach oben. Aufgrund des großen Interesses überlegt man nun, berichtet er, wie man den Turm dauerhaft Besuchern zugänglich machen kann: An festen Tagen im Jahr, ein- oder zweimal im Sommer oder eingebunden in ein touristisches Konzept bei Stadtführungen. Jedoch müssen dafür die notwendigen Sicherheits- und Brandschutzbestimmungen gewährleistet sein. Derzeit laufen die Vorbereitungen. Mitte 2010 soll es soweit sein, lässt Kulturdezernent Erik Schrader wissen. sg < wird fortgesetzt

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