Für Unfromme und Nachdenkliche

Pfarrer Tobias Kaspari ruft dazu auf, den Karfreitag nicht wegzuwerfen, ihn nicht aufzugeben und die Augen vor dem Elend nicht zu verschließen. Kaspari ist seit 2011 Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Güchenbach im saarländischen Riegelsberg.

Karfreitag ist das Stiefkind unter den Feiertagen. Wir wissen nicht mehr so recht, was wir mit diesem stillen Tag anfangen sollen. Zwar finden es viele praktisch, dass er arbeitsfrei ist, ein schöner Auftakt für die Osterfeiertage. Aber wirklich begangen wird der Tag doch eher nicht mehr. Zumal der Karfreitag, anders als Weihnachten und Ostern, auch noch vollkommen unbrauchbar ist, um die Konsumwirtschaft anzukurbeln. Schoko-Kruzifixe und Dornenkronen-Deko?

Ältere erzählen, wie es früher war: Da zogen sich an diesem Tag alle tiefschwarze Trauerkleidung an und gingen in die Kirche. Im Fernsehen lief nur getragenes Programm, im Radio nur klassische Musik, zu essen gab es Fisch, wenn überhaupt. Kinder durften nicht herumtoben oder laut lachen, denn es war ein ernster, ein trauriger Tag: der Tag, an dem Jesus gekreuzigt wurde.

Der Karfreitag führt ins Zentrum des Christlichen: Eine Hinrichtung als Dreh- und Angelpunkt der Erlösung der Menschen. Diese Idee ist nicht selbsterklärend: Der Tod Jesu ist der Tod Gottes für uns, und das ist der Weg zum Leben? Schon zu Zeiten des Apostels Paulus war das Kreuz darum vielen "ein Ärgernis und eine Torheit". Wer Näheres wissen möchte, traue sich in einen Gottesdienst.

Was tun mit dem Karfreitag? Ihn als gesellschaftlichen Feiertag endgültig aufgeben? Als private Exzentrik einer kleinen Minderheit betrachten, denen dieser Tag für ihre persönliche Frömmigkeit noch wirklich etwas bedeutet? Schauen wir nochmal hin. Bei der Kreuzigung geht es um Menschliches: körperliches, physisches Leid, um den menschlichen Körper in seiner Verletzlichkeit mit seinen unmittelbaren Bedürfnissen nach Nahrung, Kleidung, Obdach. Und kein Gott weit und breit, der dieses Problem löst, der Jesus vom Kreuz holt oder hungernde Kinder einfach satt macht.

Warum hilft Gott nicht? Darauf lassen sich viele Antworten geben, von "Weil er nicht will" bis "Weil es ihn nicht gibt". Die Antwort, die der christliche Karfreitag gibt, ist im Religionsvergleich außergewöhnlich und ein bisschen "töricht" und vielleicht "ärgerlich", denn sie lautet: Weil Gott nicht der Strippenzieher ist, der vom Himmel aus die Dinge regelt, sondern sich in so einem Fall dazugesellt: mitleidet, mithungert, mitstirbt.

Gott ist nicht tot, weil Nietzsche das theoretisch hergeleitet hat, sondern Gott ist tot, weil wir Menschen Jesus gekreuzigt haben. Weil wir es zulassen, dass Menschen aus Armut verzweifeln, durch Gleichgültigkeit in Vergessenheit geraten, vor Einsamkeit depressiv werden. Diesen Schuh des Leidens zieht sich Gott selbst in Jesus an.

Der Karfreitag könnte ein Feiertag sein, an dem wir uns diese brutale Realität der Menschheit ganz ohne Schnörkel vor Augen führen. Ein Tag im Jahr, an dem wir nicht die Augen vor dem Elend verschließen, sondern es uns bewusst vergegenwärtigen. Ein Tag, um in den Gottesdienst zu gehen. Ein Tag, an dem wir nichts beschönigen, sondern hinschauen, wie das Blut fließt, auch wenn es uns erschreckt. Ein Tag, an dem wir nicht behaupten, schnelle Lösungen zu haben, wenn uns nur mal jemand machen ließe. Sondern ein Tag, an dem wir es aushalten, keine Lösung zu haben. Aushalten, dass Gott tot ist. Das Christentum schenkt uns einen stillen, sperrigen und nicht vermarktbaren Tag. Werfen wir ihn nicht weg!

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