Es gibt Alternativen zum Bettgitter

Kreis Neunkirchen. Auf die Idee, dass ihre 87 Jahre alte, dement kranke Mutter auch auf einer dicken Matratze auf dem Boden schlafen könnte, wäre Hildegard S. nie gekommen. Martin Eisenbeis, der Geschäftsführer des Sozialdienstes Katholischer Frauen und Männer (SKFM) machte sie auf diese Alternative zu einem Gitterbett aufmerksam. Denn die Mutter von Hildegard S

Kreis Neunkirchen. Auf die Idee, dass ihre 87 Jahre alte, dement kranke Mutter auch auf einer dicken Matratze auf dem Boden schlafen könnte, wäre Hildegard S. nie gekommen. Martin Eisenbeis, der Geschäftsführer des Sozialdienstes Katholischer Frauen und Männer (SKFM) machte sie auf diese Alternative zu einem Gitterbett aufmerksam. Denn die Mutter von Hildegard S. wäre durchaus in der Lage, nachts bei Bedarf allein auf die Toilette zu gehen, ohne ihre noch berufstätige Tochter aus dem Schlaf zu holen. Doch im Gitterbett ist dies unmöglich.In Beratungsgesprächen erlebt Martin Eisenbeis immer wieder, dass Angehörige von Demenzkranken oder Pflegepersonal in Heimen nicht wahrnehmen, dass die Fixierung in Gitterbetten oder durch Leibgurte eine freiheitsentziehende Maßnahme ist. "Dies wird als normal und notwendiges Übel gesehen. Schließlich muss der Patient geschützt werden, bevor er sich verletzt." Dass es auch anders geht, soll eine Fachtagung am 8. Juni im Landratsamt Neunkirchen vermitteln. Unter dem Thema "Alt, dement, der Freiheit beraubt!" wird die Frage aufgegriffen, ob Bettgitter, Bauchgurt und abgeschlossene Zimmer als wirksamer Schutz für Demenzpatienten die einzig adäquaten Maßnahmen sind. Im SZ-Gespräch erläuterten Eisenbeis vom Betreuungsverein sowie Monika Göltzer und Thomas Baldauf von der Betreuungsbehörde des Landkreises, welchen Hintergrund die Fachtagung hat. "Die Grundlage für unser Handeln als Betreuungsbehörde beziehungsweise -verein sind die Freiheitsrechte nach dem Grundgesetz", betont Thomas Baldauf. So müssen freiheitsentziehende Maßnahmen wie Bettgitter im Pflegeheim beim Amtsgericht beantragt werden. Es mangele aber vielfach - ob nun in Pflegeheimen oder bei pflegenden Angehörigen zuhause - die Kenntnis, dass es auch andere Mittel gebe, die Patienten vor Stürzen oder anderen Verletzungen zu bewahren, ergänzt Eisenbeis. So könne man zuhause Stolperfallen wie Teppiche entfernen, es gebe gepolsterten Hüftschutz, um schwere Verletzungen zu vermeiden oder die Möglichkeit, ein Niederflorbett anzuschaffen. Man müsse sich vergegenwärtigen, was eine Fixierung oder das Eingesperrtsein im Zimmer bedeute: Nämlich faktisch der Entzug der Freiheit.

Die Fachtagung am 8. Juni, die kostenlos und für alle Interessierten offen ist, beleuchtet das Thema Sicherheit von Demenzkranken aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln. Dr. Johannes Ratermann wird das Krankheitsbild und die Behandlungsansätze der Demenz beschreiben. Der Direktor des Amtsgerichtes Neunkirchen, Johannes Schmidt-Drewniok, informiert über die rechtlichen Grundlagen bei freiheitsentziehenden Maßnahmen. Madeleine Viol vom Projekt ReduFix wird Möglichkeiten aufzeigen, wie diese vermieden werden können. Im Projekt ReduFix konnte gezeigt werden, dass mit verschiedenen Handlungsansätzen auf einen Teil von körpernahen Fixierungsmaßnahmen ohne negative Konsequenzen für die Heimbewohner verzichtet werden kann. "Fixierung bedeutet den Entzug der Freiheit."

Martin Eisenbeis

Meinung

Ein Stück Lebensqualität

Von SZ-RedakteurinHeike Jungmann

Rund 2500 Betreuer von kranken Menschen gibt es im Landkreis Neunkirchen, Tendenz steigend. 80 Prozent der Betreuer sind Angehörige, die vor einer schwierigen Aufgabe stehen. Einerseits wollen sie den Patienten vor Stürzen oder anderen Verletzungen bewahren. Andererseits bedeuten Fixierungen ans Bett oder den Rollstuhl, ein abgeschlossener Wohnbereich oder auch die Wegnahme von Hilfsmitteln wie die Gehhilfe oder Brille eine starke Einschränkung der persönlichen Freiheit. Die Fachleute von der Betreuungsbehörde und dem Betreuungsverein des Landkreises sprechen sogar von freiheitsentziehenden Maßnahmen.

Manch Angehöriger mag angesichts dieses Ausdruckes ein schlechtes Gewissen bekommen oder gar wütend werden, schließlich will man nur das Beste für den kranken Angehörigen und kann nicht rund um die Uhr für ihn präsent sein. Dabei gibt es durchaus Alternativen zu diesen Maßnahmen. Auf diese wollen die Veranstalter der Fachtagung "Alt, dement der Freiheit beraubt!" am 8. Juni in Neunkirchen hinweisen. Und sensibel machen für ein Problem von Menschen, die nur eine kleine Lobby haben, aber wie gesunde Menschen auch das Recht auf ein Stück Lebensqualität. Die Angehörigen müssen einen schmalen Grat gehen. Gut, dass sie bei dieser schweren Entscheidung nicht allein gelassen werden, sondern bei Betreuungsverein und -behörde im Kreis Neunkirchen um Rat fragen können.

Auf einen Blick

Die Fachtagung "Alt, dement, der Freiheit beraubt" im Landratsamt Neunkirchen, Saarbrücker Straße 1, befasst sich am Mittwoch, 8. Juni, ab 13.30 Uhr mit dem Thema, ob Bettgitter, Bauchgurt und abgeschlossene Zimmer als wirksamer Schutz für Demenzpatienten unbedingt notwendig sind. Veranstalter sind der Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer für den Landkreis Neunkirchen, die Betreuungsbehörde des Landkreises sowie die Katholische Erwachsenenbildung. Das Programm sieht ein Grußwort von Landrätin Cornelia Hoffmann-Bethscheider vor. Danach wird Dr. Johannes Ratermann von der Fachklinik St. Hedwig Illingen um 14 Uhr über das Thema "Sind Demenzpatienten Problem-Patienten?" referieren. Um 15 Uhr spricht der Direktor des Amtsgerichtes Neunkirchen, Johannes Schmidt-Drewniok, über "Freiheitsentziehende Maßnahmen: Schutz vor Selbstgefährdung oder strafbare Handlung?". Zum Abschluss wird Madeleine Viol vom Projekt ReduFix über "Das gemeinsame Anliegen: Fixierung reduzieren" sprechen. Anmeldung bis Mittwoch, 1. Juni, bei der Betreuungsbehörde: (0 68 24) 9 06 25 23 oder 9 06 25 22.

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