Er fuhr die letzte Tram zum Verschrotten

Saarbrücken. Richard Müller, Jahrgang 1924, ist ein ganz besonderer Zeitzeuge in Sachen Straßenbahn. Denn er war von 1946 bis 1965 als Trambahn-Schaffner und -Fahrer auf saarländischen Schienen unterwegs. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Müller am 15. Juni 1945 in seinen Heimatort Dilsburg zurück. Er fand Arbeit im Depot Heusweiler der Straßenbahnen im Saartal, wo er am 21. Mai 1946 anfing

Saarbrücken. Richard Müller, Jahrgang 1924, ist ein ganz besonderer Zeitzeuge in Sachen Straßenbahn. Denn er war von 1946 bis 1965 als Trambahn-Schaffner und -Fahrer auf saarländischen Schienen unterwegs. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Müller am 15. Juni 1945 in seinen Heimatort Dilsburg zurück. Er fand Arbeit im Depot Heusweiler der Straßenbahnen im Saartal, wo er am 21. Mai 1946 anfing. Den einzelnen Depots war immer ein Kontingent Fahrpersonal zugeordnet - in Heusweiler waren das 64 Personen.Nach einer Prüfung fuhr Müller bereits ab dem 12. Juni 1946 als Schaffner auf der Linie 10. Dies war eine schwere Zeit, gab es doch außer der Straßenbahn keine Fahrzeuge, um nach Saarbrücken zu kommen. Die Bahnen waren deshalb in den Hauptverkehrszeiten hoffnungslos überfüllt. Hinzu kamen der Mangel an Fahrzeugen und deren schlechter Zustand, da viele Triebwagen in Saarbrücken zerstört oder beschädigt waren.

Die Fahrt in einer überfüllten Bahn hätte Müller im August 1946 fast das Leben gekostet. Denn er hatte nur noch Platz auf dem Trittbrett gefunden. Und als die Bahn haarscharf an einem liegen gebliebenen französischen Panzer vorbeirollte, streiften ihre Griffe den Panzer. Dabei wurde Müller lebensgefährlich verletzt. Sein Krankenhausaufenthalt in der Saarbrücker Reppersbergklinik ist ihm noch in lebhafter Erinnerung - denn dort fehlte es an allem, und es regnete sogar in Müllers Bett. Ende der 40er Jahre hatte die Straßenbahn oft noch Probleme mit der Stromversorgung. Mehr als einmal fiel der Strom aus, und die Fahrgäste mussten zu Fuß weitergehen.

Erst um 1950 besserte sich die Situation, da man nach und nach beschädigte Triebwagen wieder fahrtüchtig gemacht hatte. Dies geschah in der Hauptwerkstatt in Saarbrücken. Im Heusweiler Depot wurden nur mehr kleine Reparaturen ausgeführt. Das Depot diente vor allem dazu, dort bis zu 16 Zuggarnituren abzustellen und zu reinigen.

Das Verhältnis zwischen Schaffnern und Fahrgästen war zu dieser Zeit noch sehr gut. Man kannte sich, ja man wusste morgens an den Haltestellen, wer noch fehlte - und der Schaffner schaute vor der Abfahrt in die Straße, ob derjenige noch kommt.

Am 16. Mai 1952 machte Richard Müller die Prüfung zum Straßenbahn-Fahrer und durfte dann auch an die Kurbel. Die Strecke nach Saarbrücken war eingeleisig, weshalb man an ausweichen und warten musste. Da es kaum Telefone gab, kam es auch vor, dass sich Züge auf der Strecke begegneten, weil beispielsweise der eine Verspätung hatte. In einer solchen Situation musste Müller einmal sogar den Riegelsberg wieder rückwärts herab zur Ausweichstelle Güchenbach fahren, um dort einen entgegenkommenden Zug vorbeizulassen.

Erinnern kann sich Müller auch noch an die Fahrt der Straßenbahn, die nach dem ersten Premabüba dessen Gäste nach Hause brachte. Da setzte starker Schneefall ein, der die Bahn immer wieder zum Halten zwang. Denn die Gleise der Linie 10 waren in schlechtem Zustand. Und im Anhänger fiel die Heizung aus, so das die Fasnachter erbärmlich froren.

Um den Fahrzeugmangel zu beheben, kamen auch gebrauchte französische Straßenbahnen zum Einsatz. Bekannt sind noch die schweren Anhänger aus Lille. Diese waren schwierig zu bremsen und liefen mehr als einmal am Heusweiler Hirtenbrunnen über das Gleisende.

Ab dem 13. November 1953 wurde Müller als Straßenbahn-Fahrer in Saarbrücken eingesetzt. Als das Ende der Saarbrücker Tram abzusehen war, schulte Müller 1963 zum Busfahrer um - und das war er bis zu seiner Pensionierung am 1. Februar 1984. Müller wurde aber noch eine besondere Ehre zuteil. Nach Stilllegung der letzten Saarbrücker Straßenbahn am 22. Mai 1965 waren noch zwei Triebwagen im Depot verblieben. Müller erhielt am 23. Mai 1965 den Auftrag, auch diese zur Goldenen Bremm zu fahren, da dort alle Fahrzeuge verschrottet wurden.

Wegen eines Missverständnisses wurde ihm bei dieser Fahrt in Höhe des Drahtzugweihers der Strom abgeschaltet. Erst nach längerem Hinundher schaffte er es, die zwei Wagen an die Bremm zu bringen. Richard Müller ist also derjenige, der tatsächlich die allerletzte Straßenbahn in Saarbrücken gefahren hat. Foto: K.H. Janson

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