Einblicke in die Anstalt

Merzig · „Es kommt nicht oft vor, dass wir hier eine Merzigerin begrüßen, die aus ihrem Roman liest, der auch noch in Merzig so spielen könnte“, betonte der Beigeordnete der Kreisstadt, Matthias Görgen, zu Beginn der Lesung von Simone Regina Adams. Sie stellte am Donnerstag ihren zweiten Roman „Die Halbruhigen“ in der Merziger Stadtbücherei vor.

 Simone Regina Adams vermittelte bei ihrer Lesung spannungsgeladene Momente. Foto: Sylvie Rauch

Simone Regina Adams vermittelte bei ihrer Lesung spannungsgeladene Momente. Foto: Sylvie Rauch

Foto: Sylvie Rauch

Es ist ein Roman, der, wie schon der Titel mutmaßen lässt, einen Blick in eine spezielle Welt erlaubt. Es ist die Welt von psychisch Kranken, die Ende der 1970er Jahre mit den unterschiedlichsten Diagnosen für einen oft langen Zeitraum in einer Klinik untergebracht sind. Es ist aber auch die Welt von Angestellten, von Ärzten, Pflegern und Schwestern - allen voran die Lebenswelt von Chefarzt Christian Neumann und seiner Familie. Sie wohnen auf dem Klinikgelände, was für die Erwachsenen eine deutlich schwierigere Situation ist, als für die Kinder. Für die Kleinen ist vieles normal, was für die Erwachsenen gerade so gar nicht normal ist.

Liebevolle Beschreibungen

Die Klinik zeichnet Simone Regina Adams mit sehr feinen Pinselstrichen, so dass jedem Merziger schnell klar ist: "Die alte Dame" ist die Anstalt, wie sie bei den Bürgern lange hieß, das Landeskrankenhaus, früher die Heil- und Pflegeanstalt. Es ist jene Klinik aus rotem Sandstein, die nach außen so wenig verrät von dem, was in ihrem Inneren passierte.

Fast wie einen lieb gewonnenen Menschen, beschreibt die Autorin die Gebäude, mit so körperlichen Attributen wie wunderschön geschwungenen Augenbrauen oder dem Rondell als Brosche am Revers. Dass Simone Regina Adams sowohl Gebäude als auch Krankheitsbilder, psychische Störungen und den Umgang mit diesen Menschen so authentisch, so lebendig werden lässt, hat viel mit ihrem eigenen Leben zu tun. Sie wuchs als Kind auf jenem Merziger Klinikgelände auf, das sie zum Handlungsort ihres Buches macht. Zwar schreibt sie bewusst nicht, dass die Klinik ihrer Protagonisten in Merzig ist. Doch wer die Gebäude kennt, weiß, dass es nur dieses Gebäude sein kann. "Meine Hauptdarstellerin, die Klinik, gibt es wirklich. Die Figuren sind aber ganz frei erfunden", erklärt Adams. Die Krankheitsbilder hingegen sind echt. Sie kennt die Autorin, die lange Zeit als Psychotherapeutin arbeitete, genau.

Im Buch ermöglicht Simone Regina Adams einen direkten Blick in die Gefühls- und Gedankenwelt der Patienten. Sie muss dazu jedoch nicht in verstörende Details gehen. Stilistisch brillant gelingt es ihr mit nur wenigen Worten messerscharf zu offenbaren, warum zum Beispiel "Die dicke Berta" schwer traumatisiert in der Klinik behandelt werden muss.

Momente zum Atemanhalten

Oder warum Siggi und Jakob von ihren teils schwerwiegenden Störungen dominiert werden. Es gibt jedoch auch jene Momente, in denen man als Leser den Atem anhält. Jene Momente, in denen Kinder die Gefahr nicht erkennen, die von manchen Menschen ausgeht. Es ist gerade das Nicht-Gesagte, was eine Situation, eine Reaktion so klar erscheinen lässt.

Professor Alfred Diwersy, der auf Wunsch von Adams am Donnerstag die Laudatio hielt, sieht darin eine große Begabung der Autorin: "Jedes Wort, das sie schreibt, wählt sie mit Bedacht.

Überzeugende Charaktere

Das Buch ist glänzend geschrieben, spannend, man will sehen, wie es weitergeht. Simone Regina Adams schreibt sehr komplex, aber klar, sie zeichnet überzeugende Charaktere und komponiert eine spannende Handlung." Bereits der Titel "Die Halbruhigen" sei sehr klug gewählt für das Buch. Er stehe für das ganze Buch. Sicherlich sei vielen der Begriff nicht bekannt, der als einer von dreien der Kategorisierung der Kranken diente. Sie wurden in Ruhige, Halbruhige und Tobsüchtige unterteilt und dementsprechend behandelt.

Im Buch kehrt die Tochter des Chefarztes nach 30 Jahren zurück an den Ort ihrer ungewöhnlichen Kindheit. Und sie beginnt, die inneren Konflikte des Vaters zu verstehen. Der Roman von Simone Regina Adams wurde mit dem Werner-Bräunig-Preis ausgezeichnet. Die Jury beurteilt "Die Halbruhigen" so: "Ein dicht gewebter Text, beeindruckend und bildhaft."

Das Buch von Simone Regina Adams "Die Halbruhigen", gebunden mit Schutzumschlag, 271 Seiten, ist im Aufbau Verlag erschienen, ISBN 978-3-351-03525-9, Preis: 19,99 Euro.

www.simonereginaadams.de

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