Archäologie Ein Schatzgräber auf den Spuren der Kelten

Saarbrücken · Walter Reinhard wühlt seit fast 50 Jahren in der Erde. Er warnt vor einem Stillstand der archäologischen Kelten-Forschung.

 Ein nachgestellter Krieger – eine der Abbildungen aus Walter Reinhards Buch „Die Kelten im Saarland“.

Ein nachgestellter Krieger – eine der Abbildungen aus Walter Reinhards Buch „Die Kelten im Saarland“.

Foto: Photoshop Schmidt

Nach der Grabung ist vor der Grabung. Vor zwei Jahren ging Walter Reinhard (67) in Rente. Seit fast 50 Jahren – davon rund 40 beruflich – sucht, erforscht und dokumentiert er archäologische Funde, unter anderem das Fürstinnengrab in Reinheim, den Hunnenring in Otzenhausen oder den römischen Vicus in Borg. Auch jetzt noch wühlt sich der frühere Leiter der Bodendenkmalpflege im Saarland durch heimische Erde. In Kirrberg (bei Homburg) läuft die Suche nach Zeugnissen einer der ältesten steinzeitlichen Siedlungen im Saarland, 5000 Jahre ist sie alt. Hätte Reinhard einen Wunsch frei, würde er sich richtig viel Geld in der Hand wünschen. Um was zu tun? „Ich würde private Grabungen finanzieren und die Funde dann der Öffentlichkeit schenken.“

Das sagt er bei einem Treffen, zu dem er sein jüngstes Buch mitgebracht hat: „Die Kelten im Saarland“, eine Art lexikalisches Handbuch zur Epoche 900 bis 300 v. Chr., mutmaßlich ein zukünftiges regionales Standardwerk. Es bietet eine bemerkenswerte Vollständigkeit und seltene Fülle an Abbildungen. Letzteres macht das Fachbuch auch für Kelten-Fans jenseits der Wissenschaft bekömmlich.

Die Kelten hatten keine Schrift, also fehlen schriftliche Überlieferungen. Auch hinterließen sie keine steinernen Zeugnisse ihrer Religion, ihrer Wohn- und Sozialstruktur, denn sie bauten mit rein organischen Materialien, die sich zersetzten. „Letztlich bleiben nur die Gräber als archäologische Quellen“, so Reinhard. Jedoch wurden nur für die keltische Elite Grabhügel angelegt, die heute noch in der Landschaft identifizierbar sind. Geschätzte 3600 waren es einst im Saarland, davon sind 1200 bekannt und erst 350 ergraben, 71 von Reinhard selbst. Bis zu 30 Meter breit und 1,50 Meter hoch waren die Kalkstein-Haufen über einer oberirdischen hölzernen Grabkammer. Über der Steinabdeckung wurde dann noch ein Erdhügel errichtet. Reinhard hat sich selbst mal die Mühe gemacht, die Steine einzeln zu zählen: 3030 waren es, acht Tonnen schwer. Diese Steine kamen laut Reinhard nicht aus Steinbrüchen, sondern wurden durch Pflüge aus dem Ackerboden nach oben gedrückt – ein Hinweis auf eine bäuerliche Gesellschaft, die allerdings in Sachen Eisenverarbeitung hochinnovativ war. Das „erzählen“ die mehrfach geschmiedeten und gefalteten Schwerter, die man in den Gräbern fand. Außerdem lässt sich an Perlen aus dem Baltikum oder karthagischen Edelsteinen ablesen, dass die Kelten weitreichende Handelsbeziehungen unterhielten beziehungsweise an bedeutenden Handelsstraßen siedelten.

Reinhard arbeitet in seinem Buch Grabungsergebnisse und Forschungserkenntnisse der vergangenen 35 Jahre auf, bis etwa 2010. Denn seitdem, so Reinhard, habe es hierzulande keine gezielten Forschungsgrabungen mehr in Sachen Kelten gegeben. Weshalb auch sein neues Buch keine Überraschungen oder Sensationen mehr bieten könne. Reinhard resümiert: „Das, was mit heutiger Technologie zu rekonstruieren ist, haben wir im Saarland geleistet.“ Das gilt wohl auch europaweit, weshalb die Kelten nur mehr aus Mystifikations- und Werbezwecken das Geheimnis umwitterte Volk sind, „Europas vergessene Macht“, wie sie ein „Terra X“-Fernseh-Dreiteiler nannte.

Trotzdem warnt Reinhard vor einem „Stillstand“ der archäologischen Forschung und Grabungsarbeit. Zwar könne man manches tatsächlich künftigen Generationen und deren neuen Methoden überlassen, aber keinesfalls alles. „Außerdem ist längst erwiesen, dass es heutzutage nicht mehr stimmt, wenn man sagt, der Boden sei der beste Konservator. Die Umwelteinflüsse zersetzen die Objekte. Man verliert enorm viel.“ Deshalb fand man im Saarland auch keinerlei Stoffreste in den Gräbern, anhand derer man Material, Schnitt und Farbe keltischer Trachten hätte rekonstruieren können. Dennoch tauchen in Reinhards Buch Darstellungen der Alltagskleidung auf. Anhand keltischer Funde in anderen europäischen Regionen sei diese Spekulation legitim, meint er. Und zwingend, wenn man für archäologische Funde Akzeptanz erreichen wolle. „Der Mensch ist ein Seh-Mann“, lautet Reinhards Credo. Ohne Anschaulichkeit und Erlebbarkeit könne man keine gesellschaftliche Basis für seine Wissenschaft erreichen, sagt er. Deshalb war und ist Reinhard auch ein Streiter für Großprojekte wie etwa den Kulturpark Bliesbrück-Reinheim und rümpft keineswegs die Nase über die Reenactment-Bewegung oder „Celtoi“-Feste im Otzenhausen. Wobei er selbst mit dem Kostümieren wenig anfangen kann.

Aber warum überhaupt graben? Was lernte er durch die Beschäftigung mit den Kelten? Fortschrittsorientierung und Respekt vor den Toten. Zudem setzt die Archäologie Schwingungen anderer Art frei: Jagdfieber. Reinhard war bereits als 16-jähriger Pennäler infiziert, durch einen Lehrer in Blieskastel, der viel über die Römer erzählte. Eines Tages zogen Reinhard und seine Kumpels los. Sie rammten bei Breitfurt einfach mal ihre Schaufeln in den Boden und: bingo. Da war sie, die antike Mauer und mit ihr kam das, was Reinhard nie mehr missen wollte: der Schatzgräber-Kick.

 Walter Reinhard, früherer Leiter der Bodendenkmalpflege im Saarland, Archäologe und Buchautor.

Walter Reinhard, früherer Leiter der Bodendenkmalpflege im Saarland, Archäologe und Buchautor.

Foto: privat

Walter Reinhard: Die Kelten im Saarland. (Denkmalpflege im Saarland, Bd. 8, 2017), 381 Seiten, 25 Euro.

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