Analyse Durch die AfD-Fraktion geht ein Riss

Saarbrücken · Die drei Abgeordneten sind unterschiedliche Typen – einer hat Probleme in der eigenen Partei.

 Josef Dörr, Rudolf Müller und Lutz Hecker (v.l.n.r.) bilden seit der Landtagswahl 2017 die AfD-Fraktion im Landtag. Sie sind tief zerstritten.

Josef Dörr, Rudolf Müller und Lutz Hecker (v.l.n.r.) bilden seit der Landtagswahl 2017 die AfD-Fraktion im Landtag. Sie sind tief zerstritten.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Die AfD, wie der Landesvorsitzende Josef Dörr sie wahrnimmt, das ist die „Elite des guten Willens“ und „die letzte Hoffnung“ für das Saarland im Kampf gegen die „Unwilligen und Unfähigen“ der anderen Parteien. Bei dieser selbst ernannten Elite verhält es sich allerdings so: Bei Landesparteitagen kommt es regelmäßig zu Tumulten, Mitglieder brüllen sich an oder verklagen sich vor Gerichten, Versammlungen werden regelmäßig angefochten, ein Landesvorstandsmitglied wurde wegen Volksverhetzung verurteilt.

Fortsetzung folgt: Am kommenden Sonntag könnte der stellvertretende Vorsitzende Lutz Hecker abgewählt werden. Das Tischtuch zwischen ihm und seinem einstigen Verbündeten Dörr ist zerschnitten. „Da fahren zwei Tanker aufeinander zu“, sagt ein Partei-Insider. Irgendwann kracht es.

Längst teilt der Konflikt im Parteivorstand auch die dreiköpfige Landtagsfraktion. Die Front verläuft zwischen Dörr und seinem Stellvertreter Rudolf Müller einerseits und Hecker andererseits, auch wenn Müller versichert, man trenne zwischen Partei und Fraktion: „Die Zusammenarbeit ist professionell.“

Diese Professionalität vermittelt sich allerdings nicht immer nach außen. Als die Abgeordneten des Haushaltsausschusses im November 2017 in stundenlangen Sitzungen das Zahlenwerk wälzten, meldete sich AfD-Vertreter Dörr nicht ein einziges Mal zu Wort, Änderungsanträge der AfD gab es nicht. Die große Koalition bescheinigte der Fraktion daraufhin eine bisher nie dagewesene „Arbeitsverweigerung“. Dörr rechtfertigte sich, er vergeude seine Zeit und Kraft nicht mit Dingen, die nichts bringen. Die Anträge der Opposition würden ohnehin abgelehnt. „Die werden auf Papier gedruckt, das verbraucht Tinte, das ist auch noch Materialverschwendung.“

Das war auch Hecker unangenehm, der sich genötigt sah, sich in der Haushaltsdebatte von seinem Fraktionsvorsitzenden zu distanzieren: „Es ist keineswegs so, dass wir uns abschrecken lassen von einer grundsätzlichen Ablehnung unserer Anträge“, sagte er. „Es ist unsere Aufgabe, unsere politischen Inhalte in die Debatte einzubringen. Gegenwind ist das Los der Opposition. Dafür ist Opposition da und wir halten das auch aus.“

Hecker, in der Fraktion ein Einzelgänger, wird selbst aus anderen Fraktionen bescheinigt, er sei fleißig, arbeite sich in Themen ein und arbeite in den Ausschüssen mit. „Was er sagt, ist fachlich immer in Ordnung“, sagt einer, der ideologisch weit von der AfD entfernt ist.

Hecker, Dörr und Müller – das sind drei völlig unterschiedliche Typen. Dörr gerät schnell ins Plaudern, er erzählt vom Krieg, den er als Kind miterleben musste, wie es damals mit 60 Schülern in einer Klasse war. Man erfährt in seinen Landtagsreden, dass er früher immer das Sportabzeichen gemacht hat, heute aber lieber „marschiert“, Gartenarbeit macht und Skat spielt.

Inhaltlich hat die AfD vor allem bei einem landespolitischen Thema ein Alleinstellungsmerkmal: bei der Inklusion an Schulen, die sie ablehnt. Allerdings gelingt es der Fraktion nicht, die vorhandene Unzufriedenheit aufzugreifen – auch weil die Rhetorik von Fraktionschef Dörr potenzielle Adressaten abstößt.

Dörr schöpft bei seinen Landtagsreden aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung bei CDU und Grünen, er hat die Schlachten der vergangenen Jahrzehnte alle miterlebt: Saar-Statut 1955, Gebietsreform 1974, Stahlkrise und Schulkampf der 1980er Jahre und so weiter. Das muss kein Nachteil sein, gerade weil die meisten der 50 anderen Abgeordneten nur einen wesentlich kürzen Zeitraum überblicken.

Allerdings erweist sich Dörr programmatisch nicht immer als sattelfest. Nach der ersten Regierungserklärung rief er der Ministerpräsidentin hinterher, er hoffe, dass zumindest die Hälfte von dem, was sich die CDU/SPD-Landesregierung vorgenommen habe, auch wirklich eintrete. „Am liebsten wäre es uns, es würde alles klappen.“ So staatstragend hatten sich die AfD-Wähler die Oppositionsarbeit nicht vorgestellt. Ein anderes Mal erklärte er die AfD-Wahlkampfforderung nach einem Feierabend-Parlament kurzerhand für obsolet.

Auch zu zentralen Themen der Landespolitik wie der Schuldenbremse fand die AfD im ersten Parlamentsjahr keine konsistente Position. Einmal warf Dörr der Landesregierung eine „Brüning’sche Sparpolitik“ vor, also so hart zu sparen, dass die Demokratie daran zerbricht. Ein anderes Mal bescheinigte er der großen Koalition hingegen, es sei „eine große Leistung“, dass sie daran arbeite, den Landeshaushalt auszugleichen. „Das können nicht alle Länder von sich sagen.“ So viel ideologische Flexibilität gibt es bei keiner anderen Fraktion.

Für Attacken und Provokationen im Landtag ist Rudolf Müller zuständig. Ihm gelingt es in Landtagsdebatten bei vielen Themen spielend, einen Schlenker zur Flüchtlingsfrage zu machen, was ihm regelmäßig Zwischenrufe wie „Schwaduddler“ (SPD-Umweltminister Reinhold Jost) oder „Sie sollten sich abgrundtief schämen!“ (CDU-Mann Hermann Scharf) einbringt.

Müller scheint genau diesen ebenso reflexhaften wie vorhersehbaren Protest erreichen zu wollen, wenn er zum Beispiel die Frage aufwirft, ob in den Kirchen „einwanderungspolitische Triebtäter“ am Werk sind, er CDU und SPD ein „Linksextremismus-Problem“ attestiert oder er die Ursache für Gewalt gegen Polizisten in Krimis „von linksgrünen Kulturschaffenden“ sucht.

Eine seiner Landtagsreden beendete der studierte Lehrer mit den Worten: „Den Schreibern aller Deutschlandhetze wünsch ich Fußpilz, Pest und Krätze.“ (Im Originalreim des Schriftstellers Alfred Kerr von 1915 wurden gleichwohl „Bandwurm, Hühneraugen, Krätze“ gewünscht.)

Müller ist seit einigen Monaten neben Hecker stellvertretender AfD-Landesvorsitzender, er gilt als möglicher Nachfolger, sollte Dörr irgendwann doch einmal aufhören und Hecker beim nächsten Parteitag abserviert werden. Dörr wird im Juli 80 Jahre alt, die Frage wird sich also stellen. „Ein Typ wie Adenauer“ sei er, ist in der Partei zu hören, „was den Machterhalt angeht, gibt es keinen besseren. Der wird nicht müde.“

Zumindest für manche Ausschusssitzungen im Landtag scheint das aber nicht zu gelten: Dort, so berichten es Abgeordnete anderer Fraktionen und auch Kritiker aus der eigenen Partei, nicke Dörr öfter mal ein.

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