„Dramatik pur“ in der Lohntüte

Regionalverband · Rund 34 000 Arbeitnehmer aus dem Regionalverband verdienen brutto weniger als 8,50 Euro pro Stunde – also netto unter 6,50 Euro. Das steht in einer neuen Studie des Pestel-Institutes aus Hannover.

 Karge Bezahlung: Rund ein Viertel aller Arbeitnehmer aus dem Regionalverband verdient in einem sozialversicherten Job unter 8,50 Euro brutto pro Stunde. SZ-Archiv-Symbolfoto: Patrick Pleul/dpa

Karge Bezahlung: Rund ein Viertel aller Arbeitnehmer aus dem Regionalverband verdient in einem sozialversicherten Job unter 8,50 Euro brutto pro Stunde. SZ-Archiv-Symbolfoto: Patrick Pleul/dpa

"Das ist Dramatik pur!", sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut in Hannover. Er meint die Tatsache, dass - im Schnitt - jeder vierte Arbeitnehmer aus dem Regionalverband (RGV) für seine Arbeit weniger als 8,50 Euro brutto (6,50 Euro netto) bekommt. Das hat Günthers Team ermittelt - ausgehend von Zahlen der Bundesagentur für Arbeit in Berlin.

Danach standen am 30. Juni 2011 genau 135 416 Bewohner des RGV in einem Beschäftigungsverhältnis mit Sozialversicherung - etwa 31 000 davon waren angemeldete Minijobs, und etwa 104 000 waren Voll- und Teilzeitstellen. Doch rund ein Viertel der insgesamt 135 416 sozialversicherten Arbeitnehmer von 2011 - also rund 34 000 - verdiente dabei nach Berechnung des Pestel-Institutes netto unter 6,50 Euro pro Stunde. Das bestätigte Günther auf SZ-Anfrage.

Im Auftrag der Gewerkschaften Verdi und NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) sollte das Pestel-Institut herausfinden, um wie viel höher bundesweit die jährliche Kaufkraft der Bevölkerung wäre, wenn die Mehrheit der Volksvertreter im Bundestag einen gesetzlichen Mindestlohn von brutto 8,50 Euro beschließen würde.

Ergebnis: Die Kaufkraft würde um 12 Milliarden wachsen. Allein im RGV um rund 71,4 Millionen. Und dieses Geld, so glaubt Günther, würden die RGV-Bewohner noch im selben Jahr nahezu komplett auf den Kopf hauen - also an die regionale Wirtschaft weiterreichen, beispielsweise an den Einzelhandel oder das Handwerk. Gemäß der Logik des Pestel-Institutes würde der Mindestlohn die Wirtschaft beleben und den Mittelstand stärken.

"Noch nie zuvor hatten wir nach der Veröffentlichung einer Studie so viele Anfragen von Bundestagsabgeordneten wie in diesem Fall", berichtete Günther der SZ. Aus dem RGV habe allerdings noch niemand angerufen.

Die Ergebnisse der Pestel-Studie sind aber auch nur die Fortsetzung einer ganzen Kette von alarmierenden Zahlen aus dem RGV, die seit 2012 in der SZ erschienen - alle basieren auf Angaben des RGV und des Jobcenters, das RGV und Arbeitsagentur gemeinsam betreiben, alle sind gerundet:

Ein Drittel aller Saarländer lebt im RGV. Darunter ist auch die Hälfte der saarländischen Hartz-IV-Empfänger: etwa 28 000 Erwachsene und 10 000 Minderjährige. 70 Prozent der Hartz-IV-Empfänger des RGV sind Saarbrücker.

7400 Bewohner des RGV haben einen Voll- oder Teilzeitjob, bei dem sie so wenig verdienen, dass sie nicht ohne Hartz IV auskommen. Anders gesagt: 27 Prozent aller arbeitsfähigen Hartz-IV-Empfänger im RGV gehen zwar regelmäßig zur Arbeit - trotzdem brauchen sie Hilfe vom RGV.

2011 zählte der RGV 27 000 Arbeitslosmeldungen von Leuten, die zwar Anspruch auf Arbeitslosengeld ALG I hatten - die aber mit ihrer sozialversicherungspflichtigen Arbeit so wenig verdient hatten, dass ihr ALG I (60 Prozent vom früheren Netto) nicht reichte, um über die Runden zu kommen. Also mussten sie gleich auch noch Hartz IV dazu beantragen. Ein Drittel aller Bewohner des RGV, die ihren Job verlieren, haben aber sowieso keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld I (ALG I). Denn dazu hätten sie während der vorangegangenen zwei Jahre insgesamt zwölf Monate lang sozialversichert arbeiten müssen. Und das ist ihnen nicht gelungen. Wer aber keinen Anspruch auf ALG I hat, der muss sich jedesmal, wenn er arbeitslos wird, sofort allein auf Hartz IV verlassen. 25 Prozent der Kinder unter 15 im RGV sind abhängig von Hartz IV. In den anderen saarländischen Landkreisen sind es im Schnitt nur 13 Prozent. 4100 Menschen im RGV beziehen Grundsicherungsgeld (Hartz IV für Rentner). Weitere 1400 Rentner brauchen außerdem die "Hilfe zur Pflege", also Zuschüsse fürs Pflegeheim oder die mobile Altenpflege. Ihre Zahl wuchs allein 2011 um 15 Prozent.

Im Haushalt des RGV für 2012 standen für die "Hilfe zur Pflege" rund 12,5 Millionen Euro bereit. Experten schätzen, dass rund 8000 Demenzkranke im RGV leben. Die meisten werden allerdings - noch - von Angehörigen gepflegt.

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