Dieser Gesang ist Kunst und Kampf

Püttlingen · Gitarre, Stimme, Mikrofon, schwarze Kleidung und an der Seite der Gitarrist Jan Laacks. Mehr braucht Anne Haigis nicht, um das Publikum zu fesseln. Das zeigte die Sängerin beim Auftritt im Püttlinger Kulturbahnhof.

 Anne Haigis und Jan Laacks bei ihrem Auftritt am Samstagabend im Püttlinger Kulturbahnhof. Foto: Heike Kolling-Krumm

Anne Haigis und Jan Laacks bei ihrem Auftritt am Samstagabend im Püttlinger Kulturbahnhof. Foto: Heike Kolling-Krumm

Püttlingen. Der Kulturbahnhof ist mit Volldampf in die Sommersaison gestartet. 450 Leute waren es bei Konzertbeginn, und im Laufe des Abends kamen noch mehr. Mit Anne Haigis eröffnete eine bekannte Sängerin den Sommerfahrplan. Beim Konzert merkte man, dass langjährige Anne-Haigis-Fans im Publikum sitzen. Als die Sängerin "Kind der Sterne" aus den achtziger Jahren ankündigte, gab es Vorweg-Applaus.Die eigene Biografie in Kurzfassung gehörte zur Moderation. "Mit 14 hatte ich schon den Kleinstadtblues im Schwabenland. Ich habe meine Gitarre gepackt und bin los. Und so mache ich das noch heute", erklärte sie und schloss damit den Kreis zu ihrer neuen CD Wanderlust. "Wonderlast", sagt die Sängerin, die Ende der 80er Jahre der deutschen Plattenindustrie den Rücken gekehrt hat und nach Amerika gegangen ist. Sie habe "in Englisch singen wollen und getrotzt". So ist denn mit Wanderlust, einem Lehnwort aus dem Deutschen, nicht der Wunsch gemeint, in der Realität zu reisen, sondern: "Das, was da drinnen los ist. Die Sehnsucht, die einen umtreibt und von der man oft nicht weiß, nach was man sich überhaupt sehnt." Anne Haigis übersetzt diffuse Gefühle, Empfindungen, widersprüchliche Situationen in Gesang. Leidenschaftlich, kraftvoll, aber nicht gut geölt, sondern spröde, rau, verraucht und so auch sehr verletzlich und irgendwie am Rande der Zerstörung bewegt sich die Stimme. Dieser Gesang ist Kunst und Kampf, und er berührt das Publikum.

Intensiv wie ein Gebet

Anne Haigis sieht sich in erster Linie als Interpretin. Sie fühlt sich wie eine Schauspielerin in die Texte ein. Ein wunderbares Beispiel bieten zwei Lieder aus ihrer Trude-Herr-Revue, die sie vor dem Kölner Dom präsentierte. Intensiv wie ein Gebet und in einer Passage ganz leise ohne Mikrofon trägt sie "Nacht aus Glas" vor, einen Text, den Trude Herr kurz vor ihrem Tod geschrieben hat.

Minimalistisch ist der Auftritt der Sängerin. Gitarre, Stimme, Mikrofon, schwarze Kleidung und an der Seite der Gitarrist Jan Laacks. Mehr braucht Anne Haigis nicht, um das Publikum zu fesseln. Zwischendrin zitiert sie fix Jimi Hendrix an der Gitarre, fragt: "Wer war's?" Sie lässt alle Oh-oh-oh-yeah singen und fordert von den Herren einen "etwas stierigeren" Tonfall, und sie bringt was für die 68er, obwohl sie sich selbst, Jahrgang 1955, eher als 74erin sieht.

Als sich dann alle zur letzten Zugabe, "dem wahren Blues", von den Stühlen erheben und mitschwingen, fallen ein paar Regentropfen. Perfekt.

Mit Jim Everett folgt am Freitag, 6. Juli, ein weiterer Höhepunkt im Sommerfahrplan. Der aus Georgia stammende Sänger bringt American Country Music auf den Bahnsteig. Los geht es um 19.30 Uhr.

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