Saar-Jubiläum Die Verfassung, ein Spiegel der Zeit

Saarbrücken · Vor 70 Jahren gaben sich die Saarländer eine eigene Verfassung – ähnlich denen anderer Länder, und doch ganz anders.

 Am 14. Oktober 1947 kam erstmals die vom Volk gewählte Gesetzgebende Versammlung im Saarbrücker Casino, dem heutigen Landtag, zusammen, um über den Verfassungsentwurf zu beraten. Das Bild links zeigt die Versammlungsmitglieder (v.l.) Emil Straus, Franz Singer und den späteren Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann. Angela Braun-Stratmann (r.) war die einzige Frau, die an der Verfassung mitgearbeitet hatte.

Am 14. Oktober 1947 kam erstmals die vom Volk gewählte Gesetzgebende Versammlung im Saarbrücker Casino, dem heutigen Landtag, zusammen, um über den Verfassungsentwurf zu beraten. Das Bild links zeigt die Versammlungsmitglieder (v.l.) Emil Straus, Franz Singer und den späteren Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann. Angela Braun-Stratmann (r.) war die einzige Frau, die an der Verfassung mitgearbeitet hatte.

Foto: Landesarchiv des Saarlandes/Landesarchiv des Saarlandes (Hartmann, Paul)

Der 17. Dezember 1947 war eine Zäsur in der Geschichte des Saarlandes: An diesem Tag trat die erste Saarländische Verfassung in Kraft und besiegelte so die Teilautonomie des Landes und das Ende der französischen Militärregierung. Der Knackpunkt, der sie damals von den Verfassungen anderer Länder deutlich unterschied, war die Präambel. Dort wurde Schwarz auf Weiß festgehalten, dass sich das Saarland wirtschaftlich Frankreich anschließen und vom Deutschen Reich politisch unabhängig sein würde – was nicht unbedingt im Sinne aller Verfassungsväter (und einer -mutter) war.

1947 erarbeitete eine 20-köpfige Kommission auf Weisung des Gouverneurs des Saargebietes, Gilbert Grandval, die Verfassung. Mehr als die Hälfte der Kommissionsmitglieder war während der NS-Zeit emigriert, politisch oder rassisch verfolgt worden. „Diese leidvollen Erfahrungen mit der Diktatur trugen fraglos dazu bei, dass sie den Aufbau demokratischer Strukturen zusammen mit der französischen Militärverwaltung forcierten“, sagt Peter Wettmann-Jungblut vom saarländischen Landesarchiv. Johannes Hoffmann, später der erste Ministerpräsident, war unter ihnen, Peter Zimmer, der erste Landtagspräsident, und Angela Braun-Stratmann, eine der ersten Frauenrechtlerinnen an der Saar und Mitbegründerin der saarländischen Arbeiterwohlfahrt.

Die erste Fassung stieß bei den Franzosen nicht auf Wohlwollen. „Dass der sogenannte ,Rote Entwurf’ von den Franzosen abgelehnt wurde, lag vor allem daran, dass er den Interessen Frankreichs widersprach“, sagt Wettmann-Jungblut. So war etwa die Präambel zunächst gar nicht so frankreich-freundlich, sie betonte vielmehr die saarländische Autonomie. Die Franzosen konnten nicht alle ihre Änderungwünsche durchsetzen, die Präambel wurde jedoch im Sinne der Franzosen umgeschrieben. Im November 1947 stimmte eine Gesetzgebende Versammlung, die später in den ersten Landtag umfunktioniert wurde, darüber ab. Eine Volksabstimmung gab es nicht. „Man hielt die Versammlung wohl für ‚zuverlässiger’ als das Volk“, sagt der Historiker. „Wahrscheinlich ist davon auszugehen, dass die Bevölkerung der stärkeren Bindung an Frankreich eher kritisch bis ablehnend gegenüberstand.“ Offenbar fürchtete man, dass etwa die katholische Kirche die Menschen beeinflussen könnte. Der Bischof von Trier hatte bereits 1935 offen für eine Rückkehr zum Deutschen Reich geworben.

Laut Wettmann-Jungblut sahen auch Mitglieder der Kommission und der Versammlung die Präambel kritisch – nicht nur die beiden kommunistischen Abgeordneten, die offen gegen eine Abtrennung von Deutschland stimmten. „Grandval übte auch Druck auf einzelne Mitglieder aus, um eine einstimmige Billigung zu erhalten“, sagt Wettmann-Jungblut. Als bekannt wurde, dass fünf Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Saar sich bei der Abstimmung über die Präambel enthalten wollten, wurden sie von Grandval einbestellt und scharf attackiert.

Nur acht Jahre später, im Jahr 1955, lehnte sich die Bevölkerung gegen den Status quo auf. In einer Volksbefragung lehnte sie das Saarstatut ab. Die Hoffnung der Franzosen, die Saarländer würden in die Idee der Verfassung – die Loslösung vom Deutschen Reich und die Hinwendung zu Frankreich – quasi hineinwachsen, hatte sich zerschlagen. Kurzerhand wurde die Präambel gestrichen, mit wenigen Änderungen war die „deutsche“ Landesverfassung fertig.

 70 Jahre Saarländische Verfassung: Eröffnungssitzung der gesetzgebenden Versammlung/ des verfassungsgebenden Landtages im Saarbrücker Casino (heutiges Landtagsgebäude) am 14. Oktober 1947. Bei der Stimmabgabe Angela Braun(-Stratmann) (SPS): Ehefrau von Max Braun, des Führers der saarländischen SPD in der Völkerbundszeit, 1946-52 Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, 1947-52 Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung und MdL; im Hintergrund Erwin Müller

70 Jahre Saarländische Verfassung: Eröffnungssitzung der gesetzgebenden Versammlung/ des verfassungsgebenden Landtages im Saarbrücker Casino (heutiges Landtagsgebäude) am 14. Oktober 1947. Bei der Stimmabgabe Angela Braun(-Stratmann) (SPS): Ehefrau von Max Braun, des Führers der saarländischen SPD in der Völkerbundszeit, 1946-52 Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, 1947-52 Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung und MdL; im Hintergrund Erwin Müller

Foto: Landesarchiv des Saarlandes/Landesarchiv des Saarlandes (Hartmann, Paul)
 Die Beratungen über die Verfassung scheinen nicht immer spannend gewesen zu sein. Ein Mitglied der Kommission vertrieb sich die Zeit zwischendurch mit Kritzeleien auf dem Verfassungsentwurf – wer der Künstler war, ist unbekannt.

Die Beratungen über die Verfassung scheinen nicht immer spannend gewesen zu sein. Ein Mitglied der Kommission vertrieb sich die Zeit zwischendurch mit Kritzeleien auf dem Verfassungsentwurf – wer der Künstler war, ist unbekannt.

Foto: Landesarchiv des Saarlandes

Heute, 70 Jahre nach der Geburtsstunde, spiegelt die Verfassung die Geschichte des Landes wider, zeigt, was die Menschen bewegt, wie sich Gesellschaft und Politik entwickelt haben. In den 50er Jahren etwa wurde die Todesstrafe abgeschafft, die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgeschrieben. In den 70er Jahren kamen dann Umwelt- und Datenschutz hinzu. Zugleich hat die Verfassung einige saarländische Besonderheiten. „Beim Thema Europa war das Saarland Vorreiter“, sagt Justizstaatssekretär Roland Theis. Als erstes Bundesland erhob das Saarland die europäische Einigung 1992 zum Staatsziel. Außerdem, so Theis, sei es eine „recht religionsfreundliche“ Verfassung: „Man sieht an vielen Stellen die stark katholische Prägung der Saar-Bevölkerung 1947.“ So findet sich etwa in den Artikeln, die sich mit Unterricht und Erziehung befassen, häufig ein Bezug auf christliche Werte. „Bislang kam keiner auf die Idee, das zu ändern“, sagt Theis. „Ich finde das gut.“ Im Kern sei die Verfassung noch jene von 1947. Wäre es da nicht Zeit für eine Modernisierung? Theis ist in dem Punkt zurückhaltend: „Man muss ständig hinterfragen können, ob eine Verfassung den aktuellen Herausforderungen eines Staates noch gerecht wird. Aber ihre Beständigkeit ist ein Wert an sich, den man bewahren sollte.“

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