Interview mit Ex-General Hans-Werner Fritz „Die Soldaten waren zum Teil wirklich gekränkt“

Der ehemalige Kommandeur der Saarland-Brigade, Hans-Werner Fritz, spricht im SZ-Interview über Fehler von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, das Traditionsverständnis der Fallschirmjäger und den Mythos der Luftlandeschlacht um Kreta.

 Der frühere Kommandeur der Saarland-Brigade, Hans-Werner Fritz, hier 2013 in seiner späteren Funktion als Befehlshaber des Einsatzführungskommandos.

Der frühere Kommandeur der Saarland-Brigade, Hans-Werner Fritz, hier 2013 in seiner späteren Funktion als Befehlshaber des Einsatzführungskommandos.

Foto: dpa/Marc Tirl

Die Verteidigungsministerin hat der Bundeswehr ein Führungs- und Haltungsproblem bescheinigt. Wie ist das bei Ihnen angekommen?

FRITZ Ich kann mir die Äußerungen nur so erklären, dass ein gewisser Druck aus der Öffentlichkeit da war, auch aus den Medien. Ich persönlich habe mich über diese Äußerung wirklich geärgert und war erschrocken, weil das gar nicht zur Ministerin gepasst hat. Die Aussage war in der Sache nicht gerechtfertigt, die Formulierung habe ich als unbedacht empfunden. Nach meiner Kenntnis hat sich die Ministerin mittlerweile mehrfach entschuldigt, sie hat eine Ehrenerklärung für die Bundeswehr abgegeben. Sie hat verstanden, dass diese Armee eine Seele hat. Ich denke, wir sollten diese Diskussion jetzt ad acta legen.

Gibt es also keinen Vertrauensbruch zwischen der Ministerin und der Truppe, wie der Bundeswehr-Verband und die SPD sagen?

FRITZ Die Soldaten waren zum Teil wirklich gekränkt und haben ihr das übel genommen. Es hat sich mittlerweile wieder etwas beruhigt. Die Truppe steht in den Vorbereitungen für die nächsten Einsätze. Es ist ein Einschnitt, möglicherweise bleibt eine Narbe. Darüber muss man sich im Klaren sein.

Wie empfanden Sie den Befehl, die Kasernen auf Wehrmachts-Devotionalien zu durchsuchen?

FRITZ Die Weisung lautete: Überprüfung, ob in den Kasernen der Traditionserlass eingehalten wird. Wir haben das in den 90er Jahren schon ein, zwei Mal gehabt. Wenn man sich das Ergebnis anschaut, ist das gar kein richtiges Problem. Ob das wirklich alles Devotionalien sind, da bin ich mir nicht sicher. Das Wachbataillon führt immer noch den Karabiner 98, die Pistole P1 ist eine Weiterentwicklung der P38 aus dem Zweiten Weltkrieg, die MG3 kam aus dem MG42, der Leopard I hat Vorläuferpanzer gehabt und so weiter. Nicht ganz ernst gemeint: Schauen Sie sich mal die Freiwilligen Feuerwehren an, dort sehen die Helme zum Teil aus wie die Stahlhelme der Wehrmacht.

Würden Sie sagen, die Fallschirmjäger der Wehrmacht können bis heute Vorbild für die Fallschirmjäger der Bundeswehr sein?

FRITZ Das ist keine Frage, die man mit ja oder nein beantworten kann. Die Fallschirmjäger sind gegründet worden im Dritten Reich und wurden im Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Das heißt, es gibt keine Bezugsgrößen davor, anders als bei der Artillerie oder der Infanterie. Die Fallschirmjäger mussten sich einer sehr strengen Auswahl stellen, physisch wie psychisch , die Messlatte war der Sprungeinsatz und anschließend der Einsatz auf dem Boden – oft waren sie, wie auch heute noch, Kräfte der ersten Stunde, abgeschnitten und auf sich alleingestellt. Die enge emotionale Verbindung kommt noch hinzu: Wir springen alle aus dem gleichen Flieger, alle haben Adrenalin und es kann sich keiner verstecken. Wenn wir die Frage stellen, wozu die Fallschirmjäger eingesetzt wurden, dann wissen wir, dass es für ein Unrechtsregime war.

Was folgt daraus für das Traditionsverständnis?

FRITZ Der frühere General Günter Kießling hat einmal die Frage gestellt: Darf man soldatische Leistungen und Haltungen nur dann würdigen, wenn sie im Rahmen politischer Zielsetzungen vollbracht wurden, die unseren heutigen Wertvorstellungen entsprechen? Er hat gesagt: Wenn man das macht, können wir uns aus der Geschichte verabschieden. Vielleicht sollten wir etwas zurückhaltender sein, was Schuldzuweisung angeht. Im Zweiten Weltkrieg haben Millionen junger Männer gedient, die zum Teil noch nicht einmal 20 Jahre alt waren. Die haben ihre Kindheit und Jugend im Dritten Reich verbracht und sind indoktriniert worden. Welches Gefühl für Unrecht konnten die überhaupt entwickeln? Manchmal sitzen wir da heute auf einem hohen Ross.

Woher kommt der Mythos „Kreta“ in der Fallschirmjägertruppe, die Erinnerung an die Eroberung der Insel im Jahr 1941?

FRITZ Die Soldaten haben unter schwierigsten Bedingungen operiert, durch Mut, Tapferkeit, Opferbereitschaft und kluges Handeln auf den unteren Ebenen das Ganze zum Erfolg gebracht. Churchill hat in seinen Memoiren sinngemäß gesagt: Die Fallschirmjäger, die auf Kreta gekämpft haben, waren tapfer, großartig trainiert und unbedingt zuverlässig. Er hat sie allerdings auch eindeutig dem Nazi-Regime zugeordnet. Allerdings war es ein Pyrrhussieg: Von den 10.000 deutschen Fallschirmjägern auf Kreta sind ca. 3700 gefallen, ca. 2500 wurden verwundet. Die Zahlen sprechen für sich. Es war eine hochkomplexe Operation, die selbst mit heutigen Mitteln sehr anspruchsvoll zu planen wäre. Die Operation damals war aus meiner Sicht mangelhaft geplant und hätte eigentlich gar nicht so durchgeführt werden dürfen.

Können Sie verstehen, wenn Anstoß an dem Fallschirmjäger-Lied „Rot scheint die Sonne“ genommen wird, das aus der NS-Zeit stammt?

FRITZ Wenn gesungen worden ist, so kenne ich es, dann nur die erste Strophe, mit der ich kein Problem habe. Wir sind oft genug auf dem Großen Markt in Saarlouis angetreten, dabei ist auch gesungen worden. Glauben Sie, irgendein Saarlouiser hätte daran Anstoß genommen? Wir können den Soldaten, auch den jungen, heute so viel Mündigkeit und Verstand zutrauen, dass sie beurteilen können, ob etwas unserem Traditionsverständnis entspricht oder nicht.

Wurden Sie in Ihrer Zeit als Brigadekommandeur in Saarlouis jemals mit nicht traditionswürdigen Sachverhalten konfrontiert?

FRITZ Ich kann mich nicht erinnern. Wenn etwas gewesen wäre, hätte ich eingegriffen. Wo ich nicht eingegriffen habe: Wenn ich in einem Büro in meinem Stab oder sonstwo Fotos gesehen habe, die Großväter in Wehrmachtsuniform gezeigt haben. So viel persönliche Freiheit sollte man den Soldaten lassen.

Die Bundeswehr sagt, der militärische Widerstand der Wehrmacht ist traditionswürdig. Gibt es auch in der Bundeswehr Menschen, die als Vorbilder infrage kommen?

FRITZ Die Bundeswehr ist mittlerweile über 60 Jahre alt. Wir sind damit fast älter als die Wehrmacht, die Reichswehr und das Heer des Kaiserreichs zusammen. Wenn man in unsere Geschichte schaut, bin ich sicher, dass man Traditionslinien finden kann. Das fängt bei unseren Gründungsvätern an und geht bis hin zu Soldaten, die wegen Tapferkeit im Gefecht ausgezeichnet worden sind.

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